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SATIRICELLA - Schreibereien mit spitzer Feder

FREUD UND LEID EINER ARBEITGEBERIN

Eigentlich kann ich mit meinen Hausangestellten ja zufrieden sein. Die Biologie-Lehrerin hält meinen Garten genauso gut in Ordnung wie jede gelernte Gärtnerin. Der Chirurgin kann als Köchin niemand das Wasser reichen. Die Steaks, die sie macht, sind einfach perfekt. Und dankbar sind die beiden, dass sie überhaupt arbeiten dürfen! Waren doch so lange arbeitslos. Aber jetzt, wo sie vom Arbeitsamt gefördert werden, kostet es mich auch nicht so viel. Normalerweise hätte ich mir nämlich keine drei Hausangestellten leisten können. Die dritte musste ich allerdings entlassen, eine Physikerin, die bei mir geputzt hat. Habe ich sie doch erwischt, wie sie in der Bibliothek meines Mannes - nein, nicht was Sie denken, geklaut hat die nicht - aber gelesen! Nimmt sich einfach ein Buch aus dem Schrank, irgend so einen wissenschaftlichen Quatsch, und liest einfach während der Arbeitszeit! Ich habe sie natürlich sofort rausgeworfen. Geheult hat sie, gebettelt, sie habe nicht widerstehen können und es tue ihr leid.
Aber wenn man einmal nachgibt, ist man immer die Dumme! Jetzt suche ich eine neue Putze. Ich kann mich noch nicht entscheiden. Vom Arbeitsamt habe ich drei Angebote. Die 50jährige Putzfrau würde ich de facto kostenlos kriegen, aber nur für ein Jahr. Die Mathematikerin ist seit 5 Jahren arbeitslos; die wirkte so unpraktisch, so unsicher und gehemmt, die werde ich wohl lieber nicht nehmen. Die Chemikerin, die ist jung und gesund. Die hat vor kurzem eine Umschulung zur Sozio-Pädagogin (oder wie das heißt) mitgemacht - ich glaube, die werde ich nehmen. Die kann gleich noch die Kinder hüten.

Diese Geschichte schrieb ich Mitte der 90er Jahre. Natürlich ist sie "autobiographisch" in dem Sinne, dass sie mir in der ersten Phase der Arbeitslosigkeit einfiel. Mir wurde klar, dass ich nun kein Recht mehr habe, irgendwelche Ansprüche auf eine qualifizierte Arbeit zu stellen.
In der späteren "Hartz-IV-Phase" meiner "unterbrochenen Erwerbsbiographie" wurde dieser Ersterfahrung dann noch "eins drauf gesetzt" mit einem "Ein-Euro-Job". Übrigens hatte mir damals eine Bekannte, der ich es erzählte, ganz herzlich zu diesem großen "Glück" gratuliert.
Eigentlich müsste ich über die Vergeudung von gesellschaftlichem Arbeitsvermögen und Qualifikationen schreiben, über Unterdrückung von Leistungsbereitschaft und Leistungsvermögen - über diese Widersprüche zu den Ansprüchen einer "Leistungsgesellschaft". Doch das wissen alle schon lange, das würde sowieso niemand lesen.
Also habe ich mich einmal in die Sichtweise der "anderen Seite" versetzt.
Irgendwann wurde dieses Geschichtchen auch in der Satirezeitschrift "Eulenspiegel" veröffentlicht und ich bekam - glaube ich - 30 DM dafür.