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SPRACHLIEBE - MIT LUST UND LIEBE SPRECHEN

WORTSAMMLUNG VON A BIS Z 
CHRONOLOGISCH GESAMMELT 2023

Zum 03.08.2023 kommen hinzu:

• Steckersolargeräte bzw. Balkonkraftwerke (25.05.2023)
• Verliererkultur (ausführlich in der WORTSAMMLUNG KULTUR - 25.05.2023)
• Sesquipedalophobie (ein "gaanz laanges Wort" - 10.05.2023)
• Das Knausern beim Essen (Rubrik zynisch - 05.05.2023)
• UN-Botschafter des Friedens (25.04.2023)
• Kriegsrausch (18.04.2023, dieser Link führt auf die Seite MILITÄR)
• "potenzielle Gefahren" - "doppelter" geht's nicht (11.04.2023)
• ›Bevölkerungsexplosion‹ und Co. (20.03.2023)
• Wissenschaftszeitvertragsgesetz (28.03.2023)
• Staubfänger (20.03.2023)

• Einzelne Wörter haben es geschafft, ab dem 03.08.2023 eine eigene Seite für ihre Sammlung zu bekommen:
      PRIVILEG
      SCHULD und SCHULDEN

• Einträge, die ich direkt in den entsprechenden Seiten notiert habe:
• die Ukraineflüchtlinge und ihr "Arbeitserfolg" in Deutschland
   Das Wort "Arbeitserfolg" war der Auslöser für diesen Eintrag (in der WORTSAMMLUNG FLÜCHTLINGE)

• abhängen, abgehängt, Abgehängte
Hierbei sind deutsche Jugendliche gemeint, die es z.  B. noch zu keinem "Arbeitserfolg" gebracht haben. (in der WORTSAMMLUNG A)

• Angstkultur, "Kultur der Angst" (in der WORTSAMMLUNG KULTUR)

Neu zum 15.03.2023 sind diese Wörter:

• Wende (ergänzt nach dem 15.03.2023)
                 mit diesen Wörtern: Heizwende, Zinswende
                 Wärmewende.  
• Abschottung
• übertriebene Energiesparmaßnahmen
• Kreditinstitutsaufwendungsersatzverordnung
• privilegiert, ›unterprivilegiert‹, ›überprivilegiert‹
• Hurenkind und Schusterjunge  

• Steckersolargeräte bzw. Balkonkraftwerke
MEHR Zeitgeist in Wörtern geht gar nicht!
Das ist eine super-geniale Idee mit diesen Minisolaranlagen, die man auf dem Balkon usw. installieren kann und die einen kleinen Teil des benötigten Stroms produzieren. Bürokratische Hürden werden klein gehalten - das zeigt, wo etwas politisch gewollt ist, können auch Politik und Gesetzgeber flexibel sein.
Auch wenn die Anlagen sich erst in ein paar Jahren rentieren, man hat einfach ein gutes Gefühl dabei.
Unsere Anlage ist zwar etwas größer, wir haben im vergangenen Jahr so viel Strom produziert, dass wir den zusätzlich im Winterhalbjahr benötigten Netzstrom mit dem im Sommerhalbjahr ins Netz eingespeisten Strom (7,1 Cent / kWh) kompensieren konnten. Doch jetzt überlegen wir durchaus, wann wir z. B. die Waschmaschine anstellen - nämlich dann, wenn wir Überschuss-Strom produzieren.
Auch die Gedanken, den gesamten Stromverbrauch der Privathaushalte so zu synchronisieren, dass durch entsprechendes Timing Verbrauchsspitzen abgefangen und Produktionsspitzen genutzt werden, halte ich für ziemlich gut.
Den Nutzen haben letztlich alle davon.

• Sesquipedalophobie
Dieses "gaanz laange Wort" mit seinen 18 Buchstaben könnte einigen Menschen Angst einjagen, nicht nur deshalb, weil es ein weitestgehend unbekanntes Fremdwort ist. Schon die Länge von Wörtern kann bei einigen Menschen eine Angststörung, eine "Phobie" auslösen.
Die mit obigem Wort beschriebene Phobie ist die Tatsache, dass es Menschen gibt, die Angst vor dem Lesen, Hören oder Sprechen von sehr langen Wörtern haben.

Das kann ich sehr gut verstehen, auch wenn ich vom Gegenteil betroffen bin: der Lust, gaanz laange Wörter zu sammeln.

Eine Gemeinheit habe ich noch für Sesquipedalophobiker:
Ein weiteres Wort soll angeblich das gleiche beschreiben, ist aber offenbar nur ein Joke:
Hippopotomonstrosesquippedaliophobie
(erwähnt im Wiktionary über "Sesquipedalophobie" und über "Hippopotomonstrosesquippedaliophobie")

Tipp an Betroffene:
Zerlegen Sie das Wort so, dass Sie einzelne sinnvolle Wörter mittels Bindestrich voneinander trennen. Es ist egal, an welcher Stelle des Wortes Sie damit beginnen und wie lang diese "Teil-Wörter" sind.

Hier ein Beispiel:
Eierschalensollbruchstellenverursacher
Es ist gleichgültig, ob man zuerst den "Verursacher" am Ende oder die "Eier" bzw. "Eierschalen" am Anfang abtrennt:
Eier  -  Schalen  -   Sollbruchstellenverursacher
                            Soll - Bruchstellenverursacher
                                     Bruch - Stellenverursacher
                                                 Stellen - Verursacher
Eierschalen   -  Sollbruchstellen  -  Verursacher
oder z. B.
Eierschalensollbruchstellen  -  Verursacher
Eierschalen   -  Sollbruchstellen  - Verursacher

• Das Knausern beim Essen
(notiert am 05.05.2023 - aus dem  "Schubkasten" zynisch)
Eine dicke Überschrift in der MZ vom 03. Mail 2023, S. 7 erschlägt mich beinahe:
         Das Knausern beim Essen
In der Unterzeile heißt es dann:
HANDEL Die Verbraucher reagieren auf die hohen Preise für Lebensmittel und kaufen weniger ein. Besonders ärmere Familien müssen ihren Konsum einschränken.
Ich merke an: Wenn arme Leute, die schon früher bei den Ausgaben fürs Essen ihre liebe Not hatten und zur Tafel oder Suppenküche gingen, wenn es mal wieder gar so dünn war, dann war das für sie schon die Untergrenze.
Nun also sind die Zeiten schlechter - und jetzt fangen sie auf einmal an zu "knausern"?
Weiß die MZ denn nicht, was das Wort meint - oder setzt sie es in zynischer Herablassung ein?
Zwischen diesen beiden Möglichkeiten sehe ich keinen Spielraum - dort wäre sachlicher Journalismus angesiedelt, der in dieser Situation die Verwendung dieses Wortes verbietet.

Mit den Preissteigerungen in den vergangenen Monaten ist der "reale Umsatz im Einzelhandel mit Lebensmitteln ... im März um 10,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gefallen."
Diese Zahl muss erst einmal verdaut werden - es wurden 10 Prozent weniger Lebensmittel gekauft als vor einem Jahr.
Wer rein mathematisch hinter diese Zahl schaut, kann sich ausrechnen, dass diese 10 Prozent Umsatzrückgang sich unterschiedlich auf die verschiedenen Einkommenssituationen verteilen lassen:
1. Gruppe - die haben so viel Geld, dass sie sich bei den Lebensmitteln nicht einschränken müssen. Die können, wenn sie es wollen, sogar lustig weiter verschwenden.
2. Gruppe - die haben immer noch so viel Geld, dass sie nur geringe Einschränkungen beim Kauf von Lebensmitteln hinnehmen müssen. Die  Verteilung der Ausgaben läuft bei denen so ab, dass die Mehrausgaben für Lebensmittel durch Einschränkungen in anderen Bereichen kompensiert werden können. Außerdem haben sie bisher eine gewissen Menge an Lebensmitteln verschwendet, die sie nun reduzieren können bzw. müssen.
3. Gruppe - das sind die, die mit hoher Wahrscheinlichkeit den Hauptanteil am realen Umsatzrückgang bei den Lebensmitteln tragen müssen.
Sagen wir: 25 Prozent der Bevölkerung muss 8 Prozent des realen Rückgangs verkraften - ist nur mal eine Beispielzahl zur Veranschaulichung.
Das heißt, faktisch müssen sie sich um mindestens ein Viertel eingeschränkt haben und weiter einschränken. Das bedeutet "trocken Brot und Wasser" - Niveau.
Das ist nicht das, was der Geizhals und Knauser Mr. Ebenezer Scrooge symbolisiert.

Übrigens taucht "knausern" in dieser Ausgabe der MZ (S. 24, Panorama) noch an einer weiteren Stelle auf - unter der Überschrift "Königlicher Reichtum" wird von der Krönung Charles III. berichtet. Die Frage, wer diese pompöse Veranstaltung bezahlt, hat dieses Problem mit dem Reichtum der Königsfamilie wieder ins öffentliche Licht gerückt.
Sie sollten die Feierlichkeiten gefälligst selbst bezahlen, meinen einige Zeitgenossen.
Zitiert wird ein Oliver Dowden, der "Kanzler des Herzogtums Lancaster" und im Kabinett für royale Belange zuständig:
MZ schreibt:
"Der »wunderbare Moment in unserer Geschichte« dürfe nicht von »mürrischen Knausern« madig gemacht werden."
Schließlich lockt die Monarchie ja Millionen von Touristen an.
Da sollte man sich deren Unterhalt schon etwas kosten lassen.
Soll ja nicht aussehen wie bei armen Leuten.
Die letzten beiden Sätze sind mein Kommentar.

Ich halte noch einmal fest: In der Überschrift ging es um das "Knausern" beim Kauf von Lebensmitteln, im Text ist dann die Rede vom "sich einschränken müssen".
Das Zynische an der Formulierung wird deutlich, wenn man genau nachliest (ich habe es im Wiktionary getan), was das Wort "knausern" eigentlich bedeutet:
umgangssprachlich, abwertend: mit etwas übertrieben sparsam
sein.
Ein anderes Wort für "knausern" ist "geizig sein". So setzt das DWDS [Quelle] "Knauser" und "Geizhals" gleich.
Wer kein Geld hat, um sich ausreichend Nahrung zu kaufen, bekommt gesagt, er sei "knausrig", "geizig". Das ist so was von schamlos-zynisch, dass man sich fremdschämen möchte.

• UN-Botschafter des Friedens
Diese "Messengers of Peace"  werden  vom UN-Generalsekretär berufen. Es sind nur einige wenige Personen aus den  Bereichen Kunst, Schauspiel, Wissenschaft, Literatur u. ä.  Sie setzen sich öffentlich für die Ideale und Ziele der UN ein.
Laut Wikipedia (Stand 01. Januar 2023, aufgerufen am 25.04.2023) gibt es neben den aktuell dreizehn Botschaftern, unter ihnen vier Frauen (Jane Goodall, Malala Yousafzai, Charlize Theron und  Prinzessin Haya von Jordanien), auch "ehemalige Botschafter des Friedens", von denen einige bereits verstorben sind.
Gegenwärtig wird es vermutlich ziemlich schwer sein, sich als Botschafter des Friedens Gehör zu verschaffen.
Ich denke, wir sollten in dem ganzen Kriegsgeschrei nicht vergessen, dass es sie gibt.


• "potenzielle Gefahren" - "doppelter"(¿ - Achtung, Satire) geht's nicht
Einer meiner "Schubkästen" bzw. meiner Sortierbegriffe für diese Wortsammlung ist "doppelt gemoppelt" - meine saloppe Kennzeichnung von so genannten "Pleonasmen", von Wörtern bzw. Wortgruppen, die zweimal die gleiche Bedeutung enthalten, wie es z. B. bei der "Gegenreaktion" der Fall ist.

Aktuell habe ich für diesen weit verbreiteten Pleonasmus der "potenziellen Gefahr" einen Satz gefunden, in dem sich diese Bedeutungs-Doppelung sehr schön zeigen lässt.

Hier will ich zuerst die Sprachschluderei analysieren, ehe ich das Beispiel selbst nenne:
"Potenziell" meint "möglich", beide Wörter können synonym verwendet werden:
Es ist gleichgültig, ob man z. B. von dem "potenziell zu erwartenden" oder dem  "möglichen" Ergebnis eines Fußballspiels spricht..

"Gefährlich"bzw. "Gefahr" meint eine Möglichkeit, bei der jemand oder etwas zu Schaden kommen kann.
Aus der Menge der denkbaren zu erwartenden Möglichkeiten wird die Teilmenge der Möglichkeiten als "Gefahr", "Bedrohung" oder auch "Risiko" bezeichnet, unter denen es zu einem Schaden kommen kann.
Die Teilmenge der  Möglichkeiten, die zu einem gewünschten oder erhofften Ereignis führen können,  wird oft als "Chance" bezeichnet.
Die dritte Teilmenge ist indifferent - man weiß noch nicht, was man erwarten kann, alles ist denkbar, alles ist möglich - sie enthält die Möglichkeiten, die als als "kritische Situation" bezeichnet werden können.
In ihr kann man also noch nicht sagen, ob eine positive Erwartung (Freude, Hoffnung) oder eine negative Erwartung (Angst, Sorge) gerechtfertigt ist.

Eine "potenzielle Möglichkeit" ist - sprachlich genau betrachtet - eine "mögliche Möglichkeit" - eine "potenzielle Gefahr" ist also eine "möglicherweise schädigende Möglichkeit".

Nun kommt das eigentliche Beispiel - ich habe es dem "eurotopics" genannten Newsletter "Täglichen Blick in Europas Presse" vom 11.04.2023, den die "bpb" - die Bundeszentrale für politische Bildung Quelle bpb - verschickt, entnommen.

Im Zusammenhang mit den geleakten US-Dokumenten zum Krieg Russland - Ukraine wird die italienische Zeitung LA REPUBBLICA zitiert: "Die Tatsache, das die Veröffentlichung der Geheimdokumente mit der geplanten Frühjahrs-Gegenoffensive von Kyjiv zusammenfallen, stellt eine potenzielle Gefahr für diese entscheidende Phase des Konflikts dar. ..." Diese Formulierung
"Die Tatsache, das die Veröffentlichung der Geheimdokumente mit der geplanten Frühjahrs-Gegenoffensive von Kyjiv zusammenfallen, stellt eine Gefahr für diese entscheidende Phase des Konflikts dar. ..."
sagt: Es ist möglich, dass diese Veröffentlichung zu Schaden führen kann.

Was der Unterschied zwischen der Formulierung "potenzielle Gefahr" und der Formulierung der einfachen "Gefahr" ist? Ich möchte das eine, die "potenzielle Gefahr" ein "Wortgepluster"nennen.

›Bevölkerungsexplosion‹ und Co.
(› ...‹ ist das von mir verwendete "Ekelzeichen" für bestimmte Wörter)
Ein weiteres dieser Ekelwörter ist ›Überbevölkerung‹.
Ich möchte aufmerksam machen auf den Zynismus in diesen beiden Wörtern: Wachstum der Zahl der Menschen auf unserer Erde - mag es zeitweise noch so hoch sein - mit dem Wort "Explosion" zu verbinden, dem also ein Bild der Zerstörung zu geben, ist menschenverachtend.
Die Verwendung von "Über-" ist sehr beliebt bei Ideologen und Hetzern: Die "Überalterung" der Bevölkerung ist ein ähnlich stigmatisierendes Wort wie das Wort "Überbevölkerung".
Solche scheinbar einfachen und anschaulichen Wörter informieren nicht im geringsten über die komplexen Probleme, sondern verstecken bzw. verhüllen diese nur. Man könnte viel mehr darüber polemisieren, das ist hier in der Wortsammlung nicht der rechte Ort. Nur eines noch:
Wenn wir nicht sehr schnell begreifen, dass nicht zuerst die Anzahl der Menschen auf der Erde Schuld ist an den Problemen und Schäden, die Menschen in der Natur angerichtet haben, sondern der abartig hohe und verantwortungslose Verbrauch von Ressourcen durch wenige Menschen in den entwickeltsten Ländern, wird es immer schwerer, unsere Mutter Erde und uns selbst zu retten.
Zuallererst muss diese Verschwendung gestoppt werden!
Dann muss gesichert werden, dass alle Menschen eine ausreichende Bildung erhalten und von ihrer Hände Arbeit leben können. Hört dann noch der "Zwang, reich sein zu müssen" auf, ist schon viel gewonnen für die Sicherung der Ernährung und allgemeinen Lebensstandard-Verbesserung in dem heute noch unerträglich armen Teil der Menschheitsfamilie.
Als Frau Merkle vor Jahren verkündete, dass es um die "weitere Erhöhung des Wohlstands" in Deutschland geht, standen mir vor Entsetzen die Haare zu Berge. Was denn noch? Selbst ein gleichbleibender Wohlstand ist "mehr als genug"!
DAS ist unser Problem, dass einige "den Hals nicht voll kriegen können".
Nicht die Zahl der Menschen ist das Problem, sondern die Gier einiger - eine Todsünde.

• Wissenschaftszeitvertragsgesetz
Wieder ist meine Liebe zu den  "gaanz laangen Wörtern" belohnt worden: mit diesem  Vier-Wort-Wort mit 31 Buchstaben bewegt es sich zwar nur im Mittelfeld meiner Sammlung, doch es ist nebenbei auch ein zeittypisches Wort:
Es ist ein Gesetz, besser gesagt ein Gesetzentwurf, in dem eine Zeitvorgabe für die Qualifikation junger Wissenschaftler für eine Professur gesetzlich geregelt werden soll. Es regt sich Widerspruch bis hin zu dem Änderungsvorschlag, "das als dysfunktional erwiesene Gesetz abzuschaffen." Diese Aussage stammt von der Frankfurter Juraprofessorin Marietta Auer, die auch Vizepräsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft ist.
Wenn sie nicht kompetent ist, das einzuschätzen, wer dann?
(aus einem Zitat im F.A.Z.-Newsletter vom 28.03.2023)
Meine restlichen Gedanken - rund um Zeit- und Geldaufwand für die Ausarbeitung von Gesetzen - erspare ich Ihnen. Denken Sie sich selbst Ihren Teil.

• Staubfänger
(Schubkasten: alt-deutsch (altmodisch) bzw. auch: liebenswert-kurios)
Wahrscheinlich kennen viele jüngere Leute dieses Wort gar nicht mehr. Deko-Artikel wurden früher, also vor ganz langer Zeit, so genannt. Sie hatten nur einen Zweck, die Wohnung aufzuhübschen. Heute ist dafür das lieblichere Wort "Stehrümchen" geprägt worden, leider weiß ich nicht, wer es erfunden hat.
Bei Google gibt es (Stand 20.03.2023) immerhin noch 423.000 Fundstellen für "Staubfänger", wobei die Werbung dann "Staubmagnet", "Staubwischer" oder "Staubwedel" anzeigt, die inzwischen auch als "Staubfänger" bezeichnet werden. Das hat nun wirklich nichts mehr miit der eigentlichen Bedeutung von "Staubfänger" zu tun, ist geradezu das Gegenteil - und ein interessantes Beispiel für einen Bedeutungswandel. Das DWDS Quelle gibt an:
"umgangssprachlich - Zur Wohnungsausstattung gehörender, meist zur Zierde dienener Gegenstand, der leicht Staub aufnimmt"
Satzbeispiele stehen dann im Zusammenhang mit Büchern, die nur solche "Staubfänger" sind.  Sicher - es gibt Leute, die stellen Bücher als "Zierde" hin, um schlauer zu wirken. Solche Typen gab es  schon zu DDR-Zeiten, wie mir eine Buchhändlerin damals versicherte.
Eine Assoziation "abstauben" gefällt mir wegen ihrer Doppeldeutigkeit:
Staub entfernen oder etwas  jemandem abbetteln.

• Wende - das neue Schlagwort (nach der "Lücke")?
Eingeleitet wurde die Vorliebe für das Wort "Wende" nicht im Jahr 1989.
Die "Wende" zurück in den Kapitalismus  damals haben die meisten Deutschen ja gar nicht am eigenen Leibe erlebt - die "Kehrtwende".  Vielen Ostdeutschen ist sie noch höchst schmerzhaft in Erinnerung.

Erst mit Bundeskanzler Scholzens Einleitung der "Zeitenwende" (Geht es noch größer? - Nein.) wurde das Wende-Wort wieder salonfähig und sozusagen "Zeitgeist".

Inzwischen geht es so richtig los mit Wende-Wortspielereien, hier die ersten von - wie ich hoffe - noch ganz vielen weiteren Wende-Varianten:

• Die "Wärmewende"
Unsere Umweltschutzministerin Steffi Lembke (Grüne, aus Sachsen-Anhalt, eine Frau, die ich hoch schätze ob ihres ehrlichen Engagements in Sachen Umweltschutz) sagte kürzlich (siehe z. B. im Spiegel vom 14.05.2023 - "Wir als Grüne haben nicht sofort den richtigen Ton getroffen")"Wenn wir den Klimaschutz ernst nehmen, brauchen wir diese Wärmewende." (gemeint sind die Umrüstungen von Öl- und Gasheizungen auf vor allem Wärmepumpen-Heizungen) Dabei erwähnte sie auch, dass"sich viele Menschen nicht vorstellen (könnten), wie teuer Öl und Gas bald sein würden."
• Die "Heizwende" "Die Heizwende soll kommen: Ab dem kommenden Jahr will Wirtschaftsminister Habeck neue Öl- und Gasheizungen verbieten."(Tagesschau-Startseite am 16.03.2023)

"Wo bleibt die friedliche Heizwende?"
fragt die F.A.Z. auf ihrer Startseite am 09.04.2023 und verlinkt auf einen ansonsten eher unwichtigen Artikel eines Stefan Locke (dieser war wohl ein Satire-Versuch?) über politische Kälte in der Regierung und "Reibungswärme". Dort findet sich dieser Bezug zur "Heizwende":"Wenn aber die »Heizwende«, wie die noch friedliche Revolution im Wärmequellenbereich neuerdings auch genannt wird, nicht mal von der Regierung verinnerlicht ist, wie soll dann wirksam eine neue Eiszeit verhindert werden?" Irritierend ist für mich dabei eher das Wort "noch":
Schwingt da in der "noch friedlichen Revolution" eine Art Kriegserwartung mit? Hat da jemand eine Eskalation im Sinn?
Oder ist das nur "sinnfreies Gelaber"?

• Die "Zinswende"
Das ist das, was die Inflation bekämpfen soll. Nach jahrelangen - unnatürlichen - Niedrigzinsen bzw. Nullzinsen bzw. Negativzinsen werden nun Zinsen wieder in den Bereich gebracht, wie man sie sogar zu DDR-Zeiten als normal empfunden hatte: 3 % auf Guthaben - 5 % auf Kredite.
Die Differenz bezahlte den Sparkassen und Banken die Kosten.
Nun werden die Zinsen bzw. "Leitzinsen" im exponentiell wachsenden Maß erhöht. Banken gehen bankrott, die Wirtschaft schrammt (noch) an der Rezession vorbei. Das Ziel ist, die Inflation zu "bannen".
"Etwas zu bannen" - einen Bann(fluch) auszusprechen, kommt aus der Sprache der "Magie" - das ist der Bereich, in dem symbolische oder Ersatzhandlungen Wirkung auf real ablaufende Prozesse haben sollen.

Die WirtschaftsWoche (wiwo.de) fragt am 22.03.2023 in Auswertung des aktuellen Berichts (ist er schon ein "Orakel"?) der Wirtschaftsweisen, der sich "Konjunkturupdat für Deutschland" nennt:"Erst die Silicon Valley Bank, dann die Credit Suisse - und nun? War es das? Oder geht das große Zittern gerade erst los? Und überhaupt, was ist »das«:
eine überschaubare Marktbereinigung nach der Zinswende oder nur das Vorbeben einer neuen globalen Finanzkrise?"
Das Wörtchen "nur" ist gut gewählt in seiner zum einen abschwächenden, zum anderen ausschließenden Bedeutung.
"Ist doch nur ein kleiner Kratzer. Nichts Schlimmes."
Oder bedeutet es hier:
"Das kann man nicht anders erklären als mit ...
Das ist etwas, bei dem alle anderen Möglichkeiten als die genannten ausgeschlossen sind."

Dann würde es bedeuten, dass diese "globale Finanzkrise" heute schon als unvermeidlich angesehen wird.
Der geneigte Leser muss sich seinen Teil denken - nimmt er die Aussage als Beruhigung oder als Warnung?
• Abschottung
Das ist das Hauptthema des EU-Gipfels vom Februar 2023.
Man will sogar einen Zaun rund um die EU herum bauen, wenn ich das richtig verstanden habe. Man will die EU-Grenzen ("unsere Außengrenzen") sichern bzw. "besser schützen".
Weshalb müssen Grenzen "geschützt" werden? Vor wem oder was müssen sie geschützt werden? Will da jemand unerlaubt raus, so wie es in der DDR war? Die Aufgabe der Grenzanlagen der DDR war es ja, die Leute nicht rauszulassen.
Nein, diese Grenzen müssen geschützt werden, damit Leuten, die unerlaubt in die EU einwandern wollen, nicht durch sie hindurch kommen. Es ist sozusagen eine "Spiegelsituation" zu damals, was die EU da heute macht.
Ich glaube, die Gründe, die Leute haben, aus ihrer Heimat fortzugehen, hat man bei dem Gipfel nicht erwähnt. Oder wenn, dann nur am Rande.
• übertriebene Energiesparmaßnahmen
Diese seltsame Formulierung in Zeiten massenhafter öffentlicher Appelle, doch bitte Energie zu sparen, wo es nur geht, mag befremdlich wirken:
Geht das überhaupt, beim Energiesparen "zu übertreiben", also "zu viel zu sparen"?
Ja, es geht, ausgerechnet beim viel empfohlenen "Kaltduschen" und ähnlichen Warmwasser-Sparmaßnahmen kann das Sparen geradezu gefährlich werden: denn dadurch "können sich in Wasserleitungen und Wasserspeichern Keime vermehren". Vor allem von den so genannten Legionellen droht Gefahr.
Leider waren die insgesamt wirklich sehr interessanten Informationen nur hinter der Bezahlschranke bei der F.A.Z im Artikel vom 03.02.2023
    LEGIONELLEN-BEFALL
    Wenn die Dusche zur Gefahr wird
zu finden. Denn sonst hätte ich Ihnen den Link auf diesen Artikel nicht vorenthalten. Damit Sie gewarnt sind und es nun wieder wagen, sich warm zu duschen.

• Die "Kreditinstitutsaufwendungsersatzverordnung"
gehört selbstverständlich in den "Schubkasten  gaanz laange Wörter": es sind fünf  Einzelwörter (Kredit - Institut - Aufwendung - Ersatz - Verordnung) die sich hier harmonisch zusammengetan haben. Ggf. kann man "Aufwand" auch als zwei Wörter (auf - wenden) ansehen. Insgesamt enthält diese Wortschlange 42 Buchstaben.
Das Wort an sich ist für die Mehrheit der Deutschen völlig unbedeutend, geht sie nichts an,  muss sie nicht kennen. Wen es interessiert - ich gebe hier die Information aus dem F.A.Z. - Newsletter "Frühdenker" vom 02.02.2023 wieder:
Sie, die Verordnung"schreibt vor, wie viel die Aktiengesellschaften den Banken für ihren Aufwand zahlen müssen, damit sie die Aktionäre über Termin und Tagesordnung der Hauptversammlung informieren ..."
• privilegiert, ›unterprivilegiert‹ und gern auch ›überprivilegiert‹
(Wieder einmal muss ich dieses Wort "privilegiert" und seine diversen Formen erwähnen. Se sind bereits ausführlich beargumentiert in der WORTSAMMLUNG - P#privilegiert.)
Doch dieses aktuelle Beispiel will ich gern öffentlich machen:
Edo Reents schreibt in einem Feuilleton-Beitrag in der F.A.Z. online, hinter Bezahlschranke "F+" am 13.01.2023 über den Tod von Lisa Marie Presley. Wörtlich zitiere ich den ersten Satz dieses Textes: "Wenn man sich's aussuchen könnte, würde man wohl lieber ein über- als ein unterprivilegiertes Elternhaus nehmen; ..."Ich schreibe es noch einmal aus, um was es mir hier geht:
›überprivilegiertes‹ Elternhaus".
Manch einem genügt offenbar ein einfach "privilegiertes" Elternhaus schon nicht mehr.
Sind die Kinder aus privilegierten Elternhäusern gegenüber den Kindern aus ›überprivilegierten‹ Elterhäusern womöglich bereits ›unterprivilegiert‹?
Schon die Erfindung des Wortes "unterprivilegiert" ist an Boshaftigkeit kaum zu überbieten, suggeriert es doch, dass die Betroffenen "ein bisschen privilegiert" sind. Das nicht-euphemische Gegenwort zu "privilegiert" ist übrigens "benachteiligt".
Es ist Herrn Reents nicht anzulasten, dass er dieses Wort verwendet. Zwar ist es bei Googeln nur knapp 2000 x zu finden, hat es aber schon zu einem Eintrag ins DWDS (Digitales Wörterbuch der Deutschen Sprache)  und in den Duden geschafft - in der Bedeutung "übermäßig privilegiert".
Bereits in der FAZ vom 28. Juli 2012 tauchte das Wort auf, als Überschrift in einer Textreihe "Stützen der Gesellschaft".
Andere Nachschlageseiten kennen das Wort gar nicht, z. B. openthesaurus.de.
Den Privilegierten genügt es in ihrer Arroganz und Dünkelhaftigkeit offenbar nicht, sich "privilegiert" nennen zu können, jetzt wollen sie ihren Status noch mehr erhöhen - überhöhen.
(Mit ›... ‹ kennzeichne ich  von mir so genannte "Abscheuwörter" bzw. "Scheinwörter" - letztes meint Buchstabenansammlungen, die so aussehen, als wären sie richtige Wörter.)
• Hurenkind und Schusterjunge
"Hurenkind" mag diskriminierend klingen, war vielleicht auch einmal als Herabsetzung für unehelich geborene Kinder gemeint.
Der "Schusterjunge" ist heutigentags eher aus der Redewendung "Es regnet ja wieder mal Schusterjungen" für sehr starken und lang anhaltenden Regen bekannt.
Beide Wörter sind auch als Begriffe in der Typografie, der Drucktechnik bekannt. Sie haben sogar einen Bezug zueinander.
Drucker sind Ästheten. Wenn also drucktechnisch bei einem neuen Absatz die erste Zeile unten auf der Seite steht oder die letzte Zeile eines Absatzes oben auf der nächsten Seite, so wird das oft als störend empfunden. Im Fall der Einzelzeile am Ende der Seite spricht man vom "Schusterjungen", die letzte Zeile eines Absatzes auf der neuen Seite oben ist das "Hurenkind".
Für beide Wörter gibt es auch noch andere, zum Teil recht drastische Wörter:
Der "Schusterjunge" wird auch "Waise", "Waisenkind" oder "Findelkind" genannt,
das "Hurenkind" wird in jüngerer Zeit auch als "Witwe" bezeichnet, früher waren auch "Hundesohn" und um 1900 herum die Bezeichnung als "Missgeburt"
Neben der ästhetischen Frage spielt auch das lesetechnische Problem eine Rolle: Wenn auf der linken Seite oben eine einzelne Zeile - aus dem Zusammenhang zum Textende auf der vorherigen Seite gerissen- steht, muss man ggf. noch einmal zurückblättern, um diesen Zusammenhang wieder herzustellen.
Meine Informationen habe ich aus der Wikipedia über "Hurenkind und Schusterjunge" (März 2023) und dort stehen noch hübsche Merksprüche für die beiden Wörter, wovon ich nur den ersten hier nennen möchte:
"Ein Hurenkind weiß nicht, wo es herkommt, ein Schusterjunge nicht, wo er hingeht."


Neue Wörter im Jahr 2023, die ich ausführlicher direkt in den Sammelseiten notiert habe, sind:
Antikorruptionskultur und Kultur der Selbstbereicherung (in der WORTSAMMLUNG KULTUR)
Asylbremse (in der WORTSAMMLUNG A)
Lückenstopfer und Dichtelücke (siehe WORTSAMMLUNG LÜCKE)
• Die neuen Wörter in der WORTSAMMLUNG MILITÄR sind so zahlreich, dass ich sie hier nicht noch einmal nenne, mit einer Ausnahme: das  lustig wirkende "Eisenschwein", das in der Soldatensprache für "Schützenpanzerwagen" steht


Seitenversion: erg. 03.08.2023
URL: www.brunhild-krueger.de/spr/spr1-wortsammlung/spr14-chronologisch/spr14_chronologisch_2023.html