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WORTSAMMLUNG VON A BIS Z  - PRIVILEG


Eine erste Wortsammlung mit ausführlichen Texten:

• unrechtmäßig privilegiert? - Haftungsprivilegisierung (neu 04.11.2023)
• privilegiert, unterprivilegiert, ÜberprivilegisierungDem ersten Text aus dem Jahr 2016 wurden weitere Beispiele hinzugefügt. Neu ist  im Jahr 2023 der Text über das "unter- und das überprivilegierte Elternhaus". • privilegiert, kündigungsschutzprivilegiert

• unrechtmäßig privilegiert? - Haftungsprivilegisierung
(neu 04.11.2023)
In ihrem "Frühdenker" (dem Newsletter) fragt die F.A.Z. am 10.10.2023
       6. Unrechtmäßig privilegierte Impfstoffhersteller?
Darin geht es um die Frage nach der Haftung von Corona-Impfstoffherstellern -  diese gilt  „nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit“.
Die Rechtsverordnung dafür war angesichts der Corona-Pandemie und der Notwendigkeit, "die Beschaffung von Impfstoffen zu beschleunigen" im Mai 2020 geschaffen worden.
Im "Frühdenker" finden sich nun aktuelle Informationen: Es gibt einen gerichtlichen Streit zu Haftungsfragen bezüglich der Corona-Impfungen - eine anhängige Klage wegen möglicher Impfschäden. Hier ein Textauszug aus dem Newsletter:
"Grundsätzliche Bedeutung: Ob diese Haftungsprivilegisierung rechtmäßig ist, darüber verhandelt heute erstmals das Verwaltungsgericht Köln. Die anhängige Klage hat grundsätzliche Bedeutung für die Schadensersatz- und Schmerzensgeldprozesse wegen möglicher Coronaimpfschäden, ..."Die Klägersicht ist, dass"mit der getroffenen Haftungssonderregelung für die Produzenten der Corona-Impfstoffe die strengen Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes zu Unrecht ausgehebelt" wurden.
Die Fragestellung ist insofern interessant, weil sie die Möglichkeit einer "rechtmäßigen Privilegisierung" als Alternative offenhält.

Eine Frage, die sich aus meiner Sicht in diesem Problem versteckt, ist die nach der Vermeidbarkeit oder Unvermeidbarkeit von Impfschäden:
Wenn sie "unvermeidlich" sind im höheren Interesse des Impfschutzes der Bevölkerung im Rahmen einer Pandemie, steht einer Haftungsentlastung für die Hersteller nichts im Weg.
Nur würde ich das
nicht als "Privileg" bezeichnen.

Die zweite Frage, die ich sehe, ist die nach dem Bedürfnis von Menschen, die wissen, dass sie anderen geschadet haben, und die sich nun fragen müssen, ob sie Schadensersatz leisten wollen bzw. können, ob sie also den verursachten Schaden von sich aus "wieder gut machen" wollen.
• privilegiert, unterprivilegiert, Überprivilegierung

Ergänzung im Jahr 2023:
ein weiteres  Beispiel zu
›unterprivilegiert‹ und ›überprivilegiert‹
Edo Reents schreibt in einem Feuilleton-Beitrag in der F.A.Z. online, hinter Bezahlschranke "F+" am 13.01.2023 über den Tod von Lisa Marie Presley.
Wörtlich zitiere ich den ersten Satz dieses Textes: "Wenn man sich's aussuchen könnte, würde man wohl lieber ein über- als ein unterprivilegiertes Elternhaus nehmen; ..."Ich schreibe es noch einmal aus, um was es mir hier geht:
›überprivilegiertes‹ Elternhaus".
Manch einem genügt offenbar ein einfach "privilegiertes" Elternhaus schon nicht mehr.
Sind die Kinder aus privilegierten Elternhäusern gegenüber den Kindern aus ›überprivilegierten‹ Elterhäusern womöglich bereits ›unterprivilegiert‹?
Schon die Erfindung des Wortes "unterprivilegiert" ist an Boshaftigkeit kaum zu überbieten, suggeriert es doch, dass die Betroffenen "ein bisschen privilegiert" sind. Das nicht-euphemistische Gegenwort zu "privilegiert" ist übrigens "benachteiligt".
Es ist Herrn Reents nicht anzulasten, dass er dieses Wort verwendet. Zwar ist es bei Googeln nur knapp 2000 x zu finden, hat es aber schon zu einem Eintrag ins DWDS (Digitales Wörterbuch der Deutschen Sprache)  und in den Duden geschafft - in der Bedeutung "übermäßig privilegiert".
Bereits in der FAZ vom 28. Juli 2012 tauchte das Wort auf, als Überschrift in einer Textreihe "Stützen der Gesellschaft".
Andere Nachschlageseiten kennen das Wort gar nicht, z. B. openthesaurus.de.
Den Privilegierten genügt es in ihrer Arroganz und Dünkelhaftigkeit offenbar nicht, sich "privilegiert" nennen zu können, jetzt wollen sie ihren Status noch mehr erhöhen - überhöhen.
(Mit ›...‹ kennzeichne ich  von mir so genannte "Abscheuwörter" bzw. "Scheinwörter" - letztes meint Buchstabenansammlungen, die so aussehen, als wären sie richtige Wörter.)

Der Text aus dem Jahr 2016:
Was soll das heißen - "unterprivilegiert"? Sind die betroffenen Menschen nur "ein bisschen privilegiert" oder "zu wenig privilegiert"? Unterernährung - auch so ein beschönigendes Wort  - meint die Tatsache, dass den betroffenen Menschen Nahrung fehlt, sie also hungern, ohne dass sie schon am Verhungern sind. Dann soll "unterprivilegiert" bedeuten, denen fehlen Privilegien? Wenn alle in allen Dingen privilegiert wären, gäbe es keine Privilegien mehr.
Mit anderen Worten: Damit es Privilegierte - also Menschen mit besonderen Vorrechten - gibt, muss es Menschen geben, denen diese besonderen Rechte vorenthalten werden. Es gibt Länder, da sind die Satten schon die "Privilegierten".  Man kann es auch so nennen, dass "Unterprivilegierten" wichtige Rechte eines Menschen vorenthalten werden - ein Arbeitsplatz zum Beispiel, bei dem man so viel verdient, dass man sich und seine Familie davon ernähren kann. Es steckt viel Arroganz und Selbstgefälligkeit dahinter, Menschen als "unterprivilegiert" einzustufen. Das indische Kastenwesen lässt grüßen. Oder sollte man es schon eine Form von modernem Rassismus nennen?

Das Wort "unterprivilegiert" beschönigt und vertuscht Zustände, in denen Menschen Nachteile  und Einschränkungen in Kauf nehmen müssen. Es ist ein sogenannter "Euphemismus", eine "Beschönigung" von Zuständen. Das eigentlich Wort klingt nicht so schön - "benachteiligt" - und wird daher gern vermieden.
(Zu dieser auch grammatikalischen Sprachschlamperei der unzulässigen Steigerung gibt es auf der Seite MAXIMALST & CO. - hier im KLATSCHWEIB - einen ausführlicheren Text )
Dieses Wort "unterprivilegiert" gehört in die Schubkästen beschönigend, polit-deutsch und medien-deutsch.

Man sollte denen, die dieses Wort verwenden, sehr genau "aufs Maul schauen" - die sagen auch noch andere schlimme Wörter und Sätze.

Besonders krass wird es, wenn man in der Geschichte zurückschaut. In der Zeit des "Dritten Reiches" gab es in Deutschland den Begriff der "privilegierten Mischehe" - für Ehen zwischen "Ariern" und "Nichtariern". Privilegiert waren diese Ehen nicht, sondern diskriminiert. Einer der Ehepartner galt als "minderwertig". Angeblich genossen diese Ehen einen gewissen "Schutz". "Normalen" Ehen benötigten diesen "Schutz" gar nicht erst. Der "Schutz" bestand wohl darin, dass der "nichtarische Partner" (meist ein Mensch jüdischer Herkunft) nicht so verfolgt wurde wie andere Menschen gleicher Ethnie oder Religion. Ein "Zwangsscheidungsgesetz" war in Vorbereitung, verhindert wurde es nur durch das Ende des 2. Weltkrieges.

Wer hätte gedacht, dass es noch einmal so weit kommen könnte?
Nun gibt es auch dieses Wort: Überprivilegierung.
Im Zusammenhang mit der Diskussion einer "Reform der Erbschaftssteuer" tobt seit Jahren ein Streit unter den Regierenden. Der soll nun endlich geschlichtet werden mit einem neuen Gesetz."Das Bundesverfassungsgericht hatte im ursprünglichen Gesetz eine Überprivilegierung von Betriebserben bemängelt."(gefunden in der MZ vom 12.10.2016, S. 2) 
Was verrät dieses Wort? Eine "normale Privilegierung" ist erlaubt, eine "Überprivilegierung" ist ungesetzlich?
• privilegiert, kündigungsschutzprivilegiert
Einer 89-jährige Mieterin in Berlin wurde nach 24 Jahren die Wohnung gekündigt, natürlich wegen "Eigenbedarf" der Vermieterin. Die Mieterin wehrte sich juristisch.
In den ersten beiden Instanzen (Amtsgericht Mitte und Landgericht Berlin) war ihr Recht gegeben worden: die Richter "sahen in dem hohen Alter der Mieterin und deren Verwurzelung in der Gegend einen Grund gegen die Kündigung." So berichtet die MZ vom 10. Juni 2021  auf S. 26. Weiter heißt es in dem Artikel: "Das sah der Bundesgerichtshof anders. Eigenbedarf sei in diesem Fall gegeben. Mit einem Umzug verbundene Unannehmlichkeiten müssten von Mietern hingenommen werden. Allein ein hohes Alter genüge nicht, um eine besondere Härte festzustellen, weil sich das Alter bei jedem anders auswirkt. ..." Dann kommt der eigentliche Satz mit dem zynischen Wort "kündigungsschutzprivilegiert": "Das Gesetz sieht nicht vor, dass Mieter ab einem gewissen Alter kündigungsschutzprivilegiert sind." Man hätte sicher sagen können, dass es für diese Mieterin "keinen Kündigungsschutz gibt", dass das Eigentum schutzwürdiger ist als die die Verwurzelung eines Menschen in seiner Umgebung (Heimat, sich zu Hause fühlen).
Vielleicht hätte man auch auf das "Eigentumsprivileg" verweisen können, das "Eigentumsschutzprivileg".
Die Vermieterin nutzt laut Text in der MZ diese Wohnung nur zeitweise - wenn sie sich mal in Berlin aufhält. Für sie ist diese Wohnung dann offenbar nur eine Zweitwohnung.
Ein Artikel auf t-online.de aus dem Jahr 2019 (abgerufen am 11.06.2021) gibt die damalige Situation und die Entscheidung des Landgerichts  Berliln wieder:
t-onlinen.de/.../eigenbedarf-kuendigung-von-mietern-in-hohem-alter-unzulaessig externer Link