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SPRACHLIEBE - MIT LUST UND LIEBE SPRECHEN

WORTSAMMLUNG VON A BIS Z  - N


Die Sammlung wird fortgesetzt im Jahr 2024


• Nervenkitzel
Ist das nicht eine hübsche Bildsprache?
In der Wikipedia wird zu diesem Wort auch auf das Wort "Angstlust" verwiesen, das ich noch gar nicht kannte.
Es geht um "Reizmechanismen" für das Zentralnervensystem, also Spannung, Abenteuer, (angenehme) Aufregung, Wagnis durch besonders gefahrenhaltige Extremsportarten.
Mir fällt sofort das Märchen "Von einem, der auszog, das Gruseln zu lernen" ein.
Der eintönige Alltag ist offenbar ein Auslöser für solche Wünsche und Bedürfnisse nach Risiken, Erlebnissen mit ungewissem Ausgang usw. Offenbar besteht Suchtgefahr.



Der im Jahr 2021 neue Eintrag:


• niedrigschwellig, Niedrigschwelligkeit (notiert 22. September 2021)
Dieses Wort fiel mir in Vorbereitung der Jubelfeiern des Jahres 2017 hier in Wittenberg auf: die Darstellung der Reformationszeit im Asisi-Panorama sollte laut Margot Käßmann "niedrigschwelligen" Zugang zur Geschichte der Reformation liefern.
Schon damals dachte ich: Meint das "Geschichte für kleine Dummköpfe?"

Dann war da das Problem mit den vielen Leuten, die sich nicht gegen "Corona" impfen lassen wollten. Denen sollten in der vorigen Woche "niedrigschwellig" Impfangebote gemacht werden - mit anschließendem kostenlosen Döner oder Riesenrad-Fahrschein. Klappte nicht ganz, die registrierten Impfzahlen weichen nicht wirklich von denen der zwei vorhergegangenen Wochen ab.

Und nun - in einem FAZ-Artikels von heute, überschrieben mit"Ethnologisches und Asiatisches Museum im Humboldt Forum" (Sie erinnern sich - es geht u. a. um "Raubkunst", das klingt besser als "Kunstraub", aber sei's drum.)
schreibt Andreas Kilb: "Man kann es mit der Niedrigschwelligkeit auch übertreiben." (Den textlichen Zusammenhang finden Sie unten in der Anmerkung.)

Die einfache Wortsammlung


Nachbesserungen, nachbessern (statt "Fehler korrigieren",  "Bockmist wieder aus der Welt schaffen" u. ä.)
(Schubkasten beschönigend)

nachhaltig (oft anstelle von z. B. stabil, beständig, anhaltend, ...)
Nachtasyl (nicht nur ein Drama von Maxim Gorki, dessen deutsche Erstausgabe im Jahr 1903 in Wittenberg gedruckt wurde, sondern brennende Aktualität - im heutigen Wittenberg, deutschlandweit, ...)
Nachtfluglärm
Nachtschicht
Nachtragshaushaltssatzung (25) (Schubkasten gaanz laange Wörter, amts-detusch)
Nagelkreuzgemeinschaft 
›Nationalsozialismus‹, ›nationalsozialistisch‹, ›Nationalsozialisten‹ (Schubkasten lti-sprach, euphemistisch)
Negativwachstum
"Negerkuss"
Nähe, "Nähe aufbauen"
Nebelkerze
Neid,
Neiddebatte, Neiddiskussion, Sozialneid, Neidhammel - und ganz neu im Frühjahr 2021: der "Impfneid"
Nesthäkchen
Nestwärme
(Schubkasten alt-deutsch, selten bis aussterbend, liebenswert)
Nestbeschmutzer (So werden oft gerade die Leute genannt, die mal gründlich reinemachen wollen im "eigenen Nest".) - (Schubkasten ideologen-deutsch)
Netz, ins Netz gehen (die alte und die neu hinzu gekommene Bedeutung beachten! - Beispiel: Dem Fischer geht ein Fisch ins Netz. Heute gehen wir selbst "ins Netz". (Die Bedeutung: "Internet" wird eingedeutscht und verkürzt)
Netzneutralität (Schubkasten Zeitgeist)
Next-Generation-Access (Schubkasten welt-deutsch)
"Nicht-Personen":
Nichtraucher, Nichttänzer, Nichtrechte (gemeint sind Personen, die nicht zum Kreis der sogenannten "Rechten" gehören)
"nicht" und "keine"
nicht nachvollziehen können
( "Das kann ich nicht nachvollziehen.") - (Schubkasten  gefloskelt)
Niederlage, Niederlage einstecken (z. B. "eine Niederlage vor Gericht einstecken")
Niederschlagswassergebühren - Nieder-Schlags-Wasser-Gebühren (Schubkasten  gaanz laange Wörter, Vier-Wörter-Wort, 27)
niederträchtig, Niedertracht
Niedriglohnbereich (Schubkasten  Zeitgeist)
Nippes, Nippsachen (heute scherzhaft "Stehrümchen" genannt - Schubkasten alt, aussterbend)
Niveau (z. B. "jammern auf hohem Niveau") 
normal und supernormal
Normalbürger
Notdienst, Notdienstgebühr, Notdienstzeiten
Nusstörtchen (ein kleines Tortenstückchen, war in der DDR lange Zeit eine Modeerscheinung) - (Schubkasten  alt bis aussterbend?)

Ausführliche Texte zu einzelnen Wörtern


• ›Nationalsozialismus‹, ›nationalsozialistisch‹ ›Nationalsozialisten‹
In der DDR hat man das politische System in Deutschland in der Zeit von 1933 bis 1945 "faschistisch" genannt, die Ideologie und die Politik nannte man "Faschismus".
Deren Vertreter wurden dann allerdings nicht nur als "Faschisten bezeichnet, auch das Wort "Nazis" wurde verwendet.
Ursprünglich war dieses Wort als Verhöhnung gedacht für diese Leute, die sich euphemistisch ›Nationalsozialisten‹ nannten.
Dieser Eigenname der politischen Machthaber in dieser Zeit war eine Provokation gegen die  internationalistischen, sozialistischen und sozialdemokratischen Bestrebungen in der deutschen Arbeiterbewegung.
Die "nationalen" Interessen waren Weltherrschaftsphantasien, bei denen Deutschland als anderen Völkern überlegen dargestellt wurde.
Ihre "sozialistischen" Parolen waren pure Demagogie, das Volk an sich zu binden. Das Volk ließ sich manipulieren ... - mit den bekannten Ergebnissen.

Nach der Wende habe ich diese  Wörter gelegentlich benutzt, um mich den üblichen  Sprachgebrauch anzupassen. Mit dem 31.12.2019 habe ich mich entschieden, diese Wörter unter die ganz schlimmen Wörter einzuordnen und sie durch besondere Anführungszeichen und kursive Schrift kenntlich zu machen.

Das Wort "faschistoid" bedeutet laut Duden - Die deutsche Rechtschreibung (27. Auflage) - "dem Faschismus ähnlich".  In Analogie zum Wort "paranoid"  verwende ich es vorwiegend als Bezeichnung für den geistigen Zustand von Menschen, die der faschistischen Ideologie anhängen. Das meint: zur Kennzeichnung des krankhaften Wesens dieser faschistischen Ideologie und Herrschaft.
• "Negerkuss"
Hier gebe ich meine ganz persönliche Erfahrung mit dem Wort wieder. Gern lege ich mich deshalb mit der "Political Correctness" an und widersetze mich der von dieser geforderten Entfernung des Wortes aus dem deutschen Sprachschatz.
"Mohrenkopf" und "Negerkuss" sind Worte, die mich an meine Kindheit erinnern. Neben der Schule war ein kleiner Lebensmittelladen, der mit seltenen Süßigkeiten (Himbeerbonbons, weißer Schokolade, Gelatine-Schlangen, Cremewaffeln u. v. a. m.) lockte. Mitunter gab es auch diese "Negerküsse"  - und in meiner Erinnerung ist dabei lediglich die Assoziation "süß, klebrig, mhhh wunderbar". Eine Assoziation zum Wort "Neger" hatte ich nie wirklich. In späteren Jahren wurden auch die "Negerküsse" in der DDR ziemlich knapp, weshalb man immer, wenn es sie einmal zu kaufen gab, mit voller Wucht zuschlug: fünf Stück auf einmal wurden gekauft und vernascht, bis zur Übelkeit.
Wie gesagt, dieser historisch gewachsene Begriff für eine Süßigkeit überdeckte bei mir - und hoffentlich bei ganz vielen anderen! - die Assoziation zum herabwürdigenden Wort für Afrikaner bzw. Menschen mit dunkler Hautfarbe "Neger".
Ich sage auch heute noch gelegentlich "Negerkuss" zu dieser Leckerei, obwohl ich sie mir schon lange verkneifen muss. Jetzt heißen sie ja korrekt "Schaumküsse" bzw. "Schokoküsse". Bei dem Wort muss ich oft erst überlegen, wenn ich es abrufen will. Es geht i. a. noch immer gedanklich den Umweg über "Negerküsse".
Natürlich ist die Umbenennung dieser Süßigkeit absolut kein Problem für mich! Ich begrüße sie, halte die Begründung für sinnvoll.
Man sollte Kindern aber auch das alte Wort nennen und ihnen erklären, warum es nicht mehr verwendet wird.

• Nesthäkchen
Eine Kleinmädchen-Romanreihe nannte sich so: "Nesthäkchen".  Die Schriftstellerin, Else Ury, war Jüdin. Sie wurde im Jahr 1943 im KZ Auschwitz ermordet.
Das Wort "Nesthäkchen" hat einen so liebenswerten, freundlichen Klang, dass es traurig ist, es so dahinschwinden zu sehen. Viele werden dieses Wort noch nie gehört haben.
Man verstand (versteht) darunter - in Analogie zur Vogelwelt, in der das jüngste Vögelchen noch im Nest hockte, wenn die anderen bereits "aus dem Nest geflogen" waren - das jüngste Kind unter Geschwistern, den "Benjamin", das Schoßkind.
Sehr schön ist der Beispielsatz aus Wiktionary:»Das Nesthäkchen genießt oft Freiheiten, für die seine Geschwister hart kämpfen mußten.« Ich werde auf diesen Satz auf der Seite "Gottes Nesthäkchen, der Atheist" zurückkommen: GOTTES NESTHÄKCHEN, DER ATHEIST (in GOTT UND DIE WELT)
• Next-Generation-Access (NGA)
"Rahmenregelung der Bundesrepublik Deutschland zur Unterstützung der flächendeckenden Next-Generation-Access (NGA)-Breitbandversorgung" vom 15. Juni 2015

• "nicht" und "keine"
Die Verwendung dieser beiden Wörter ist ein großes Problem für viele Leute. Habe ich "keine Hausaufgaben gemacht" oder "meine Hausaufgaben nicht gemacht", sind mir "keine Schwierigkeiten zu Ohren gekommen" oder sind mir "Schwierigkeiten nicht zu Ohren gekommen"? Da gibt es durchaus Nuancen in der Bedeutung, die nicht immer berücksichtigt werden, vor allem, wenn man nur noch die Formulierung mit "keine" verwendet. Was ist mir denn zu Ohren gekommen in der Aussage "keine Schwierigkeiten zu Ohren gekommen"?
Das Problem ist die Bedeutung des Verbs: Man kann etwas "tun" oder "nicht tun", d. h. in der Betonung einer Tätigkeit, in Verbindung mit dem "Tätigkeitswort" (wie "Verb" auf gut deutsch heißt) ist die Kopplung mit "nicht" eher angebracht.
Interessant wird es bei: "keinen Fehler gemacht" haben. Das gleiche kann man ausdrücken mit "nichts falsch gemacht". 

Wenn man "keine Hausaufgaben" oder "keine Schwierigkeiten" sagt, liegt die Betonung auf dem Substantiv: "Heute brauchte ich keine Hausaufgaben zu machen (weil wir z. B. keine aufbekommen haben)." oder "Im Vorbereitungslehrgang hatte ich keine Schwierigkeiten." Alternativ kann man dann auch das Wort "ohne" verwenden: "... ist ohne Schwierigkeiten" verlaufen. Man könnte natürlich auch sagen: "Der Lehrgang war für mich nicht schwierig."
Der italienische Lyrikker Salvadore Quasimodo sagte, wobei man nicht weiß, ob die Übersetzung solche Nuancen beachtet hat:"Allen Fortschritt verdanken wir den Unzufriedenen. Zufriedene lieben keine Veränderungen." Wäre hier ggf. "Zufriedene lieben Veränderungen nicht." passender gewesen?
Das "Tätigkeitswort" lieben kann sich eigentlich nur auf etwas beziehen, das tatsächlich existiert. "Keine Veränderungen" existieren nicht.
Entweder ich liebe "etwas" oder ich liebe "etwas nicht".
• normal und supernormal
Eigentlich ist  "normal" ja ein geradezu selbstbezüglich "normales Wort", vielleicht ein bisschen grau, unauffällig, unbemerkt-allgegenwärtig in dieser Welt der Superlative, der Extreme, der "Norm zum Anderssein, zum Etwas-Besonderes-Sein-Wollen".
In all dieser Suche nach dem Exklusiven, dem Indiviuellen macht nun die kleine Stadt Elmshorn in Schleswig-Holstein, mit ihren rund 50.000 Einwohnern einen Hauch größer als Wittenberg, von sich reden. Sie hat einen neuen Slogan für sich erfinden lassen:"Elmshorn - supernormal" Das lässt aufhorchen, mein erster Gedanke war:
Hier sind Sprachspieler am Werk, köstlich! Eine solche Kopplung zweier so gegensätzlicher Wörter ist einfach genial.
Dieses eine Wort "supernormal" enthält so viel Witz, macht so heiter-gelassen aufmerksam darauf, wie "super" unser ganz normaler Alltag eigentlich sein kann.
In weiteren Ausführungen kann man dann auch andere Kopplungen von "super" und "normal" finden, wie z. B.: "In Elmshorn kann man super ein ganz normales Leben führen.
Und umgekehrt."
Da muss der eine oder andere erst einmal nachdenken, wie das "umgekehrt" wohl gemeint ist.  Doch gerade das verrät den Sprachwitz der Elmsholmer, einiger zumindest.
Logischerweise ist es ganz normal, wenn auch nicht ganz so super, dass einige an dem Slogan rummeckern, darüber lästern.
Mensch Leute - ich wäre froh, wenn es hier bei uns so viel Sprachwitz gäbe! Der ist bei uns nämlich gar nicht normal.
Gern zeige ich zwei Logo-Tafeln:
  supernormal 1   supernormal 2
(Quelle: www.shz.de/lokales/elmshorner-nachrichten/neue-stadtmarke-dieser-streit-ist-supernormal-id15956306.html mit Foto-Quelle "Elmshorn")

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Anmerkung A zu "niedrigschwellig, Niedrigschwelligkeit"
In der FAZonline (Artikel vom 22.09.2021 hinter einer Bezahlschranke, "Ethnologisches und Asiatisches Museum im Humboldt Forum")
findet sich eine hübsche Bemerkung, dass man Niedrigschwelligkeit auch übertreiben kann.
Hier will ich den Zusammenhang, aus dem ich dieses Kurzzitat gerissen habe, herstellen, indem ich aus dem  von Andreas Kilb verfassten Artikel zitiere:
(Es geht u. a. um Kunst aus anderen Ländern und die Frage, ob dieser Besitz aus der Zeit des Kolonialismus im Museum verbleiben kann, weil er z. B. einmal als Geschenk nach Deutschland kam wie der erwähnte "Thronsessel des Bamum-Sultans", oder ob er zurückgegeben werden muss.)"Im Kamerun-Saal wiederum bildet der prächtige Thronsessel des Bamum-Sultans den Bildmittelpunkt. Wer aber waren die Bamum? Wie hat sich die deutsche Kolonialverwaltung ihrer bedient, um das Kameruner Grasland unter ihre Kontrolle zu bringen? Als Antwort bieten die Kuratoren eine Karikatur Bismarcks, die den Reichskanzler als Pfau in kolonialen Federn zeigt, und ein Lernspiel ("Was hättest du getan?") für Kinder an. Man kann es mit der Niedrigschwelligkeit auch übertreiben." Ich hoffe, dieses Beispiel kann auch noch einmal helfen, das Wort Niedrigschwelligkeit zu erklären.
Das Wortspiel ist soo hübsch!  Die Übertreibung der geistigen Unterforderung des Betrachters - herrlich!