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WISSENSCHAFTSGESCHICHTE

FRAUENDISKRIMINIERUNG IN DER WISSENSCHAFT


Sagen Sie jetzt bitte nicht:
"Ach, die Geschichte kennen wir doch! Wir wissen doch, dass Frauen früher nicht studieren durften." Nein, hier geht es nicht um die unentdeckt gebliebenen Frauen, deren Leistungsvermögen durch dieses Bildungsverbot gar nicht zur Entfaltung kam und die allein deshalb einen Verlust für die Wissenschaft bedeuten.

Hier geht es um die Frauen, die eine fundierte wissenschaftliche Ausbildung erfahren konnten, in ihrer Wissenschaftsdisziplin erstaunliche Leistungen vollbracht haben und trotzdem in der männlich dominierten Wissenschaft keine echte Anerkennung fanden und finden.

Es geht mir darum, die Sichtweise der männlichen Wissenschaftler und Behördenmitarbeiter usw. zu zeigen, die diese Diskriminierung gar nicht als Diskriminierung, sondern als "ganz normale" Position Frauen gegenüber aufgefasst haben.
Nach einem kleinen allgemeinen Text über Diskriminierung von Frauen
    • "Sein ist das Weib, Denken der Mann" - ?
zeige ich diese Diskriminierung von Frauen anhand von Beispielen aus der Wissenschaftsgeschichte:
    • Die Diskriminierung von Emmy Noether und Jocelyn Bell Burnell

Für dieses Phänomen der "systematischen Verdrängung und Leugnung des Beitrags von Frauen in der Wissenschaft" (so die Wikipedia) gibt es sogar einen "Fachbegriff", den so genannten "Matilda-Effekt". Ihn stelle ich zusammen mit seinem "Pendant", dem "Matthäus-Effekt", vor, "der die selbstverstärkende Anhäufung von Ansehen" beschreibt:
    • Matilda-Effekt und Matthäus-Effekt.

"Sein ist das Weib, Denken der Mann"* - ?

* Titel eines Buches von Renate Feyl nach einem Zitat von Ludwig Feuerbach - eine Sammlung von aus heutiger Sicht erschreckenden Äußerungen von Männern über Frauen)

Es gab eine lange Zeit, in der Frauen von Männern einfach für "zu dumm" gehalten wurden, Wissenschaft betreiben zu können.
(Bekannt ist z. B. diese so oder so ähnlich ziemlich häufig geäußerte Meinung:
      »Jungen sind besser in Mathematik als Mädchen.«)

Ich möchte diese Sicht einmal mit den USA vor der Aufhebung der Sklaverei vergleichen: Wer als Kind in eine Welt hinein wuchs, in der es so schlimm entrechtete Menschen wie die Sklaven gab, ist kaum auf die Idee gekommen, diese "Normalität" in Frage zu stellen.
Aktuell erleben wir im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der Kolonialzeit ähnliches - auch hier muss bisherige "Normalität" in Frage gestellt werden.

Jede Zeit hat ihre "Normalitäten", die später in Frage gestellt bzw. verurteilt werden. Was wird aus unserer Zeit bleiben, von der nachfolgende Menschen vielleicht sagen werden: "Wie konnten die damals nur so barbarisch, so menschenfeindlich, so umweltfeindlich, so dumm sein?"

Natürlich hatte ich den Ausspruch von Renate Feyl über Lise Meitner bereits vor langer Zeit gelesen: "Die Leistungen von Lise Meitner wurden mit dem Nobelpreis für Otto Hahn gewürdigt." (aus dem Gedächtnis wiedergegeben, ggf. nur sinngemäß - B.K.)

Die Diskriminierung von Emmy Noether und
Jocelyn Bell Burnell

Erst kürzlich bin ich auf Informationen gestoßen, die die Diskriminierung dieser beiden Frauen belegen. Gerade bei der sehr berühmten Mathematikerin Emmy Noether hätte ich alles, aber nicht das erwartet, was ihr widerfahren ist.

Doch beginnen wir bei Jocelyn Bell Burnell (geb. 1943)
(aus den Informationen aus der Wikipedia - zuletzt bearbeitet 31.12.2024 - über sie:)
Die britische Radioastronomin entdeckte "als Studentin von Antony Hewish" im Jahr 1967 "als erste einen Neutronenstern in Form des ersten beobachtbaren Pulsars".
(Hier hat sich die Wikipedia bereits etwas korrigiert, Jahre zuvor konnte man noch lesen, dass ihr diese Entdeckung "zusammen mit Antony Hewish und Martin Ryle" gelang. - fette Hervorhebung von mir B.K.)
"Hewish und Ryle erhielten für diese Leistung 1974 den Nobelpreis für Physik."
Dieser Satz erinnert an das, was  Renate Feyl über Lise Meitner und Otto Hahn sagte.
Die Signale waren Bell Burnell aufgefallen, nicht den beiden Herren.
Wikipedia weiter:
"Bell Burnell wurde bei der Vergabe des Nobelpreises für Physik 1984 an Antony Hewish und Martin Ryle nicht berücksichtigt, was verbreitet als eine extreme Frauen-Diskriminierung betrachtet wird und worüber in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit heftige Kontroversen geführt wurden."Was mögen das wohl für "Kontroversen" gewesen sein?

Hierzu schreibt Manfred Orlick auf der Website fembio.org über Jocelyn Bell Burnell, dass Antony Hewish "ihr Doktorvater" war.
Das ist übrigens etwas anderes als "Studentin von ..."  wie es die Wikipedia formuliert. Die Arbeit an einer Dissertation ist wesentlich spezieller als das allgemein Studium, dabei wird schon echte Forschung an Neuem betrieben.
Ein ausführliches Zitat aus dem Artikel: Die Stockholmer Entscheidung wurde damals in der Fachwelt heftig kritisiert – vor allem weil Bell hartnäckig gegen alle Widerstände ihre Ergebnisse veröffentlicht hatte, während ihr die männlichen Kollegen zunächst nicht glaubten und nun den Nobelpreis bekamen. Nur die Betroffene nahm es gelassen und hielt sich bescheiden zurück. Später äußerte sie dafür sogar Verständnis: Schließlich würden Nobelpreise eben in der Regel nicht an die in den preisgekrönten Labors arbeitenden Studierenden vergeben. Doch der Vorwurf, dass Bell bei der Preisvergabe wegen ihres Geschlechts übergangen wurde, ist bis heute nicht entkräftet. (fette Hervorhebung im Text von mir - B.K.)
Am Ende dieses Artikels steht dann das Zitat von ihr, das ich an den Anfang der Seite FEMINISTISCHE WISSENSCHAFTSKRITIK gestellt habe.

Emmy Noether, die begnadete Mathematikerin (1882 - 1935)
Mit der Zulassung von Frauen zum Studium an bayerischen Universitäten ab 1903 konnte auch Emmy Noether ein Studium der Mathematik aufnehmen.
Ihre Leistungen führten dazu, dass sie im Jahr 1909 von Felix Klein und David Hilbert, zwei berühmten Mathematikern, nach Göttingen gerufen wurde.

Nun bin ich erst dieser Tage (Ende April, Anfang Mai 2025) wieder einmal auf der Website von Cordula Tollmien gewesen, weil ich noch einmal nachlesen wollte, was sie über ihren Vater Walter Tollmien (siehe Namensliste Walter Tollmien) veröffentlicht hatte.
Dort fand ich umfangreiche Arbeiten über das Leben von Emmy Noether: Frau Tollmien hat in jahrelanger Arbeit ein Biographie in mehreren Bänden über sie und inzwischen auch eine Website erstellt. (siehe www.emmy-noether.net/Startseite/ - öffnet in einem neuen Fenster)
Weitere Texte über Emmy Noether gibt es auf ihrer eigenen Website www.cordula-tollmien.de, u. a. die pdfs tollmiennoether1990.pdf und tollmiennoether2018.pdf 
Aus der Arbeit von 2018 erfährt man Details über ihre Leistungen - alles auch für Laien durchaus verständlich - und über die Diskriminierung, die sie erleben musste.
Daraus übernehme ich diese Informationen:
E. Noether hatte im Jahr 1915 Antrag auf Habilitierung (Lehrbefähigung an Unis) gestellt, die Göttinger Fakultät hatte beraten und dann wurde

ein Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung für Noethers Habilitation an das Ministerium weitergeleitet, der von diesem jedoch zunächst einmal einfach nicht beantwortet wurde. Durch persönliche Vorsprache erreichte Hilbert lediglich, dass Emmy Noether mit Billigung des Ministeriums Semi-nare unter seinem Namen abhalten konnte: „Invariantentheorie. Prof. Hilbert mit Unterstützung von Frl. Dr. E. Noether“, so stand es erstmals im Vorlesungs-verzeichnis für das Wintersemester 1916/17. Ein zweiter Versuch, den Hilbert 1917 unternahm, um Emmy Noethers Habilitation doch noch durchzusetzen, hatte dann die von ihm natürlich nicht beabsichtigte Folge, dass das Ministerium mit Schreiben vom 5. November 1917 nun die endgültige Ablehnung des Gesuchs verfügte. Begründet wurde dies damit, dass die Zulassung von Frauen zur Habilitation nur grundsätzlich entschieden werden könne und Ausnahmen daher nicht genehmigt werden könnten.Selbst Albert Einstein drückte in einem Brief an David Hilbert diesbezüglich seine Verwunderung aus.
In einem kleinen Text heißt es zur Erklärung für das Verhalten der Behörden übrigens: Die prinzipiellen Gegner einer Habilitation von Frauen hatten nämlich unter anderem damit argumentiert, dass Frauen, wenn sie sich habilitieren dürften, den sich für das Vaterland aufopfernden Soldaten nach deren Rückkehr aus dem Krieg die akademischen Stellen wegnehmen würden.

Matilda-Effekt und Matthäus-Effekt

Der Matilda-Effekt beschreibt die systematischen Verdrängung und Leugnung des Beitrags von Frauen in der Wissenschaft, deren Arbeit häufig ihren männlichen Kollegen zugerechnet wird.(Wikipedia in der Version vom 28. Februar 2025, abgerufen am 18.06.2025)
Die Bezeichnung "Matilda-Effekt" geht auf die Wissenschaftshistorikerin Margaret W. Rossiter zurück, die ihn im Jahr 1993 postulierte. Nach ihr - so schreibt die Wikipedia -
geschieht die systematische Unterschlagung und damit zusammenhängend auch die fehlende Anerkennung von wissenschaftlichen Leistungen von Frauen in der Wissenschaftsgeschichte zum Beispiel durch die fehlende Erwähnung der Namen der Wissenschaftlerinnen bei gemeinsamen Buch- oder Aufsatzpublikationen mit anderen männlichen Kollegen oder die Aneignung ihres geistigen Eigentums durch männliche Kollegen, ohne die Wissenschaftlerin als Quelle zu nennen. Eine weitere Textstelle  erwähnt einen Journalisten der New York Times (nicht namentlich und nur mit Verweis auf eine Sekundärquelle genannt) im Jahr 1921, der schrieb (wieder nur als Wikipedia-Zitat wiedergegeben):
dass es auch in Zukunft mehr Männer als Frauen in der Wissenschaft geben würde, da es letzteren an der Fähigkeit mangele, Fakten abstrakt statt nur relational zu sehen.Diese Behauptung hat zwar nichts mit dem Matilda-Effekt zu tun, ich erwähne sie trotzdem, weil hier sehr schön zum Ausdruck kommt, wie Männer das (andere) Denken von Frauen per se diskriminieren.
Diese Auffassung rechtfertigt noch lange nicht den Diebstahl an den geistigen bzw. wissenschaftlichen Leistungen von Frauen. Oder?

Eine weitere Frage bleibt offen:
WER sind denn die Leute, die Leistungen von Frauen Männern zurechnen?

Demgegenüber hat der "Matthäus-Effekt" eher etwas mit einem sich selbst vestärkenden Prozess, einem Teufelskreis zu tun: Die Auswahl der Quellen erfolgt oft eher nach Bekanntheit (Autorität) der Autoren als nach dem tatsächlich enthaltenen wissenschaftlichen oder Neuheitswert. Es geht hierbei nicht um wissenschaftliche Leistungen, sondern um Erfolge. Über den Zusammenhang zwischen diesen beiden Begriffen ließe sich trefflich streiten.
Die Wikipedia schreibt dazu in ihrer Version vom 25.04.2025, aufgerufen am 18.06.2025:
Wo dieser Effekt auftritt, entstehen aktuelle Erfolge mehr durch frühere Erfolge und weniger durch gegenwärtige Leistungen. Ein Grund liegt in der stärkeren Aufmerksamkeit, die Erfolge erzeugen. Dies wiederum eröffnet Ressoucen, mit denen weitere Erfolge wahrscheinlicher werden. Kleine Anfangsvorteile einzelner Akteure können so zu großen Vorsprüngen heranwachsen. ... Man kann sich das vielleicht ähnlich wie im Sport vorstellen, wenn man z. B. dem früheren Sieger im Marathonlauf mal eben beim Start 1 km Vorsprung vor den anderen gibt.
Genüsslich zitiert die Wikipedia die diesem Phänomen gewidmeten Sprichwörter, von denen ich nur dieses nennen möchte:
      "Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen."
Rein wissenschaftlich betrachtet hat das Phänomen eine gewisse Ähnlichkeit mit der Züchtung von Einkristallen...
Weitere Stichwörter könnten sein: Konkurrenz statt Kooperation zwischen Wissenschaftlern, Zwang zum Veröffentlichen nach quanitativen Kriterien, auch so genannte "Zitierkartelle" können in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen. Man sieht leicht, dass die Wirkung des Matthäus-Effekts der Qualität wissenschaftlicher Arbeiten abträglich sein kann. In diesem Sinne bin ich geneigt, ihn eher dem männlichen als dem weiblichen Denken zuzurechnen.