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WORTSAMMLUNG VON A BIS Z  -  ARMUT


Angesichts der Wortfülle und der rohen, gleichgültigen, bürokratischen und z. T. sogar zynischen Sprache rund um das Wort "arm" (Arme, Armut,  Armutsgefährdungsquote, ...) habe ich mit dem 04.11.2024 diese extra Sammelseite ARMUT eröffnet.
Sie ergänzt die bereits seit längerem existierende Sammelseite WOHLSTAND

• Armutsbetroffene
Richtig gelesen - hier ist nicht die Rede von "Armen" oder "armen Menschen". In unserer von Betroffenheitslyrik triefenden Gesellschaft muss natürlich auch die Betroffenheit der Armen den Akzent setzen. Einfache Armut oder einfach arm sein, das hat keinen Nachrichtenwert. Das gab es schon immer.
Gefunden habe ich dieses Wort aktuell einmal wieder in einem Beitrag des swr.de vom 30. Juli 2022. Unter der Überschrift: "Leben auf Verschleiß: Armutsbetroffene aus Baden-Württemberg erzählen"gibt es dann u. a. diese Bemerkung:Allein im reichen "Länd" sind "knapp zwei Millionen Menschen ... von Armut bedroht".Relativieren von Armut, indem nur von einer "Bedrohung", aber nicht von dem Tatbestand als solchen berichtet wird, gehört natürlich auch zur Idyllisierung.

• Armutszuwanderung, arm und Armenarzt.
"Armenarzt" - dieses heute fast vergessene Wort fand ich bei einer zufälligen Recherche zu Käthe Kollwitz. Deren Ehemann Karl Kollwitz (1863 - 1940) war ein solcher Armenarzt.
Die Wikipedia schreibt dazu (aufgerufen am 07.09.2021): "Der Armenarzt, früher auch Ptochiater (zu gr. ptõchós "Bettler") oder auch Medicus pauperum, war ein Arzt, der im 19. Jahrhundert mittellose Kranke kostenlos ärztlich versorgte und dafür aus der Gemeindekasse besoldet wurde. Heutzutage - mit unsererm System der Pflichtkrankenkassenversicherung - wird ein Armenarzt nicht mehr benötigt, zumindest hier in Deutschland. Vielleicht sollte man auch an das Wort "Zwei-Klassen-Medizin" erinnern, das gern auf unsere Gesundheitspolitik angewandt wird.
Anderseits könnte man z.  B. die Initiative "Ärtze ohne Grenzen" als Fortsetzung des Armenarzt-Prinzips betrachten. Es gibt noch immer unzählige Menschen in der Welt, die sich einen Arzt nicht leisten können.  "Wer arm ist, stirbt früher."

Allein in dem Wikipedia-Artikel über den Armenarzt finden sich noch zahlreiche weitere Wörter rum um das Wörtchen "arm":
Armenherberge, Armenhaus (Verpflegungshaus für Arme - erinnert an heutige "Tafeln" und "Suppenküchen")
Armenpflege, Armenverwaltung, Armenversorgung.

Heinrich Hoffmann, der "Vater" des "Struwelpeters" (1809 - 1894), arbeitete längere Zeit ebenfalls als "Armenarzt". (siehe auch weitere Infos in der Namensliste) 

Er war Mitbegründer einer "Armenklinik". Bleibende Verdienste hat er sich später in der Verbesserung der Betreuung sogenannter "Irrer" erworben. Nachdem er jahrelang Spenden gesammelt hatte, konnte er im Jahr 1864 endlich den  Neubau einer modernen Klinik für psychisch Kranke finanzieren. Mit dem dabei verwirklichten Betreuungs- und Behandlungskonzept legte er "den Grundstock für eine moderne Psychiatrie".

"Von Armut und Ausgrenzung bedroht" sind viele Menschen in Deutschland, so kann man es ziemlich oft in den Medien lesen oder hören. Bedrohung suggeriert, dass es sie noch nicht wirklich getroffen hat: sie sind noch nicht richtig arm, sie sind noch nicht wirklich ausgegrenzt.
Aber viele sind es schon wirklich, und sie werden sehr schön hinter dieser  beschönigenden Formulierung versteckt!

weitere Wörter mit "Armut":
Armutsschwelle (polit-deutsch)
Armutsquote (polit-deutsch)
Armutsgefährdungsschwelle (euphemistisch)
(auch "offizielle Armutsgefährdungsschwelle")
Diese Formulierung wird ergänzt durch die "Armutsgefährdungsgrenze":
In beiden Fällen sind die Menschen gemeint, denen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens, des so genannten "Medianeinkommens" zur Verfügung stehen, das heißt aktuell (Mai 2025) sind das weniger als 1.378 Euro netto pro Monat.
Dieser Relativ-Bezug versteckt sehr schön die Probleme der "absoluten existenziellen Not". Was nützt es zu wissen, dass rund 3,5 Millionen Rentner aktuell mit weniger als dieser o. g. Summe monatlich auskommen müssen.
Wie viel weniger das im Einzelfall ist, wird nicht sichtbar. Das können gut auch 800 Euro oder weniger sein, mühselig mit Wohngeld, Sozialhife oder "Grundsicherung im Alter" etwas aufgebessert.
Diese Not verschweigt so ein statistische Trick - bösartig, hinterhältig, sich sachlich gebend, einfach nur zynisch!
Armutsrisikoquote - die ist laut Spiegel (online 17.09.2016) auf 15,7 Prozent gestiegen, und eigentlich heißt es auch nicht "Armutsquote, das ist "verkürzt", denn eigentlich heißt es "Armutsgefährdungsquote" bzw. "monetäres Armutsrisiko" - und nun ist neben den Familien und den Alleinerziehenden noch eine Gruppe betroffen - und ich bin gespannt, ob das die Singles sein werden.
Doch zuerst muss ich lesen: "Der Aufschwung kommt offensichtlich nicht bei allen an." Und - ja, es sind die Single-Haushalte, die auch "überdurchschnittlich gefährdet" sind - wer hätte das gedacht. Erstaunlicherweise sind auch Erwerbslose stärker von Armut betroffen als Berufstätige, aber das nur am Rande, Rentner auch, vor allem die weiblichen.
Wer bleibt eigentlich noch übrig, wenn Familien, Alleinerziehende und Singles "betroffen" sind? Wer ist dann "nicht gefährdet"?
Selten ist zu lesen, dass  Menschen "verarmen". Das meint, dass ihr materieller Lebensstandard durch bestimmte Umstände drastisch gesunken ist und sie nun erst "unter die Armutsschwelle gerutscht" sind. Eine gigantische "Verarmungswelle" wurde durch die Hartz-IV-Gesetze mit Beginn des Jahre 2005 eingeleitet.

Immer mal wieder veröffentlicht die Bundesregierung einen Armutsbericht (Pardon, einen Reichtums- und Armutsbericht, Armut ist schließlich relativ, nur im Gegensatz zu Reichtum zu denken, oder? Nein, es gibt eine "absolute Armut", die hinter der Rechenformel von den
                "unter 60 % des Durchschnittseinkommens"
nur gut versteckt werden kann. Dazu gehören auch die, denen nur 30% zur Verfügung stehen oder gar noch weniger.

Ab und zu wird sogar eine "Nationale Armutskonferenz" durchgeführt. Die gibt Empfehlungen, an die sich die Politik überhaupt nicht halten muss.
In Berlin gibt es eine "Landesarmutskonferenz Berlin", in der Sozialverbände versammelt sind. Auch das "Armutsnetzwerk" ist dabei.

"Armutserfahrung" - dieses  zynische Wort fiel in der Tagesschau vom 04.10.2017 ab 20.15 im Zusammenhang mit der diesjährigen "Nationalen Armutskonferenz".

Die "Armutsforschung" liefert die Details: Der Unterschied zwischen Armutsquote und Armutsgefährdungsquote? 10 Prozent.
(siehe www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/armut-in-deutschland-das-risiko-steigt-wieder ~ »externer Link«
PS: Wenn Sie berechnen wollen, ob oder wie arm Sie sind, Pardon "als arm gelten" - dann gibt es auf dieser Seite einen Rechner (der nicht "Armutsberechner" heißt), mit dem Sie das mit verschiedenen Methoden berechnen können. Schließlich ist es ja nur eine subjektive Wahrnehmung, falls Sie glauben, Sie seien arm. Denn vielleicht bilden Sie sich das ja auch nur ein.


Ergänzung 31.12.2020 - "armutsfest":
Im April 2020 habe ich in den Medien (Quelle habe ich nicht notiert) diese Formulierung gefunden - jedoch als Verneinung: "nicht armutsfest". Das kann z. B. ein Sozialsystem sein, das "nicht armutsfest" ist. So eines gibt es in Spanien.
Der Trick bei dieser Formulierung ist, dass die Armut nun auf das Sozialsystem und nicht auf das ganze System, den ganzen Staat geschoben werden kann, der ein schlechtes, unzureichendes Sozialsystem installiert hat. Hat ein Sozialsystem, dass betroffene Mitglieder der Gesellschaft nicht vor Armut schützen kann, überhaupt diesen Namen verdient, oder ist es eher ein "Un-Sozialsystem"?

Ergänzung 15.03.2023: "Ernährungsarmut"
- die soll es in Deutschland geben - auch als "armutsbedingte Mangelernährung und teils auch Hunger" bezeichnet in einem Gutachten, das bereits im Jahr 2020 vom Wissenschaftlichen Beirat des Bundesernährungsministeriums  erstellt wurde.

• Armutskarte Deutschland
Dieses Wort begegnete mir am 21. Juli 2023 zufällig beim "Durchzappen" auf RTL2 - dort wurde die Sendung für 16:05 Uhr angekündigt:
"Hartz-Rot-Gold - Armutskarte Deutschland" 
Das war bestimmt eine Spaßsendung (¿ - Zynismus aus).