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MENSCHENBILDER

DAS GUTE IM MENSCHEN, DER GÜTIGE MENSCH

Bertolt Brechts Kunstfigur Keuner wurde einmal gefragt, was er tue, wenn er einen Menschen liebt. Keuner erwiderte: "Ich mache einen Entwurf von ihm und sehe zu, dass er ihm ähnlich wird."Die Gegenfrage auf diese nicht eindeutige Aussage war, wer da wem ähnlich werden soll und die Antwort Keuners war letztlich, dass dieser Mensch dem Entwurf ähnlich werden solle, nicht umgekehrt.A1

Hier deutet sich schon an, was Brecht an anderer Stelle noch etwas direkter formulierte:
dass man den anderen Menschen nie nur so sehen solle, wie er gerade ist, sondern immer auch sehen soll, was in ihm steckt, was aus ihm werden kann.
Dieser Entwurf, dieses "Beste, was im Menschen steckt" zu erkennen  meint letztlich - so interpretiere ich das - den Anspruch an den Menschen, gut zu sein.

Andererseits werden in der heutigen Zeit "Gutmenschen" verspottet  und es wird ziemlich zynisch über "gute Menschen" geläster: naiv seien sie, lächerlich, völlig weg von aller Realität.
Denn die - die Realität - ist nun mal so (wieder Brecht, dieses Mal in der "Dreigroschenoper" bzw. auch im "Der gute Mensch von Sezuan"), der Mensch ist, wie er ist - und er kann gar nicht anders sein: ein Raubtier, eine Bestie, ein Egoist, der nur auf seinen Vorteil bedacht ist, koste es, was es wolle.

Dieses Bild ist natürlich falsch. Es ist im dialektischen Sinne völlig falsch.
Zum einen gibt es "den Menschen" nicht, sondern Menschen in ihrer Vielfalt treten in einem ganzen Spektrum von Eigenschaften auf. D. h, diese sind nicht "polar"   (gut - böse, schwarz - weiß), sondern eben zwischen den Extremen der vielen möglichen Eigenschaften irgendwo angesiedelt. Stark und gleichzeitig ein bisschen schwach, meist freundlich, aber manchmal auch wütend,  fröhlich und traurig, mutig und mutlos, ...

Zum anderen spricht man zwar immer vom Guten und Bösen im Zusammenhang, in der Gegenüberstellung. Es scheint, als gehören die beiden Begriffe zusammen wie die zwei Seiten einer Medaille - untrennbar aneinander gekettet.

Diese Kette will ich aufreißen und zeigen, dass das, was "das Gute" genannt wird, das so genannte "Böse" gar nicht benötigt, um existieren zu können.
Das "Böse" ist die Verneinung, die Negation des Guten. Also hat das Gute das Primat.
Das "Gute" ist nicht die Verneinung des "Bösen". Letzteres ist "nur" die Beschreibung für die Abweichung vom "Gut-Sein".
Auch der von mir hoch verehrte Wilhelm Busch hat nicht immer recht, wenn er  z. B. behauptet:
"Das Gute, dieser Spruch steht fest,
ist stets das Böse, das man lässt."
Abgesehen von dem Doppelsinn für "lässt" in diesem Spruch ("unterlassen" oder "zulassen"), wird selbst aus dem Unterlassen schlimmer Sachen noch keine gute Sache, sondern einfach NICHTS.
Das Gute tun, das gute Tun - anders kann das Gute nicht in die Welt kommen.

Wenn man dann noch als dritte Komponente den "gütigen Menschen" ins Spiel bringt, wird es noch einfacher: der gütige Mensch, der liebevolle Mensch, der Mensch, der "sich strebend bemüht, sein Bestes zu geben", der verantwortungsbewusste Mensch - der muss nicht eine Personifikation des "Gutseins" im Sinne der absoluten Perfektion abgeben.
Der darf Schwächen zeigen, der darf Fehler machen, der darf sie dann auch korrigieren, ohne sein Gesicht zu verlieren.

Der Anspruch an den guten Menschen ist hoch.
Mitunter wird "gut sein" mit "perfekt sein" verwechselt - und das ist eine sehr böse Sache.

Ein guter, ein gütiger Mensch kann Fehler machen, kann sogar schlimmen Schaden anrichten. Er kann versagen, er kann schwach sein, er kann ängstlich und mutlos sein, verzweifelt, hoffnungslos, er kann auch böse Worte sagen.
Einen guten, gütigen Menschen erkennt man daran, warum er das tut, was er tut.

Welche Motive treiben ihn in seinem Handeln an?
Handeln aus Liebe, Handeln in Liebe - egal ob diese Liebe nun empfunden wird als Liebe zu anderen Menschen, gegenüber der Umwelt, gegenüber seiner Stadt, Heimat, gegenüber dem Leben als Gesamtheit ist einfach nur mit einem Wort zu bezeichnen  - dieses Handeln "tut gut".

Man muss also nicht fragen: Welcher Mensch ist gut?
sondern:
Welches Handeln von Menschen ist gutes Handeln und welches nicht?[A2]

Nun kommt Jesus wieder ins Spiel:
"Liebe deinen Nächsten wie dich selbst."
Wer sich selbst nicht liebt, kann andere nicht lieben.
Ein guter  Mensch ist also jemand, der auch sich selbst Gutes tut.
Wir brauchen keine einseitigen Altruistischen, Asketen und Selbstverleugner, keine Märtyrer und Helden, wir brauchen zuerst einmal fröhliche Egoisten, deren Egoismus immer die Grenze kennt, anderen nicht zu schaden. Auch ein Egoist, ein Mensch, der zuerst an sich selbst denkt, weiß, dass er ohne die anderen Menschen nicht glücklich sein kann.

Mir gefiel die Formulierung vom "altruistischen Egoismus, egoistischen Altruismus", also die Vorstellung, dass man beides verbindet - Selbstliebe und Nächstenliebe.
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Anmerkung A1 Näheres zu dieser Keunergeschichte:
Die Originalquelle habe ich nicht finden können, jedoch eine seriöse Sekundärquelle - die Website von Prof. Dr. Gerd Eversberg - g.eversberg.eu/DUpdf/BrechtKeuner.pdf - auf der diese Keunergeschichte wie folgt wiedergegeben ist: Wenn Herr K. einen Menschen liebte
»Was tun Sie«, wurde Herr K. gefragt, »wenn Sie einen Menschen lieben?« »Ich mache einen Entwurf von ihm«, sagte Herr K., »und sorge, dass er ihm ähnlich wird.« »Wer? Der Entwurf?« »Nein«, sagter Herr K., »der Mensch.«
Als Quelle wird dort genannt: Kalendergeschichten, S. 166. Versuche Heft 12.
Dieser Vorstellung, andere Menschen nach den eigenen Vorstellungen zu "modellieren", kann man durchaus skeptisch gegenüberstehen.  Doch mir ging es bei der Erwähnung dieser Keunergeschichte vor allem um die darin enthaltene Aussage, dass man anderen Menschen gegenüber immer auch deren Stärken und Möglichkeiten erkennen soll. Das trifft natürlich in erster Linie Eltern, Lehrer, Vorgesetzte.
Diese Geschichte kann man letztlich nur akzeptieren, wenn auch die Verantwortung der "Mensch-Entwurf-Macher" gegenüber den Menschen, die ihnen sozusagen "ausgeliefert" sind, mit bedacht wird.

Anmerkung A2 Die Frage nach dem "guten Handeln"
Ich möchte schon an dieser Stelle anmerken, dass es mir bei dieser Fragestellung absolut nicht um die Detail-Fragen der Moral geht! 
Nicht die Vorschriften für "gutes" bzw. "richtiges" Handeln sind gemeint, nicht die Gesetze, Gebote, Befehle usw. Es geht nur darum, darüber (rein theoretisch-philosophisch) erst einmal nachzudenken, was das überhaupt ist.
Bei meinen Überlegungen bin ich schließlich an einen Punkt gekommen, an dem ich anfing, den Begriff Moral  als solchen abzulehnen, da mir klar wurde, dass ich ihn nicht für meine Darstellungen benötige und gebrauche. Das wird vor allem im Thema "TÄTIGSEIN" wichtig werden (noch im Aufbau).