Havemann (1) - Zitate aus Robert Havemann
"Die Einheitlichkeit von Natur und Gesellschaft"
Über die Gesetze der Scheinwelt
Vor fast 40 Jahren, noch in der DDR, habe ich in diesem Text "Die Einheitlichkeit von Natur und Gesellschaft" einen Abschnitt über die
"Scheinwelt und ihre Gesetze" gelesen. Er betonte, dass man diese genauso kennen muss wie die Gesetze der realen Welt.
Robert Havemann war ein in der DDR bekannter Intellektueller, der in den 1950er Jahren hoch angesehen, dann in den 1960er Jahren aber "in Ungnade gefallen" war.
Den Text hatte ich
in einer Ausgabe des Buches
"Weltall - Erde - Mensch" aus den 1950er Jahren gefunden.
Jahrzehntelang wurde dieses Buch in immer neuen Ausgaben herausgegeben und den jungen Menschen, die an der Jugendweihe teilnahmen, überreicht. Havemanns Text verschwand dann in späteren Ausgaben
(siehe Havemann, R.Quelle , Havemann, R. Namen und "Weltall - Erde - Mensch" (Jg. 1954)Quelle)
Bei der Gelegenheit fand ich eine weitere höchst interessante Textstelle, die ich im Anschluss an das eigentliche Zitat, das über diese Scheinwelt, wiedergebe:
Newtons Problem mit der Gleichzeitigkeit - ausführliches Zitat
Eine kürzere Version dieses Zitats findet sich auf der Seite
RAUMZEIT + GLEICHZEITIGKEIT (in GRUNDFRAGEN DER PHYSIK UND DER WISSENSCHAFT » PHYSIK, ANDERS GESEHEN)
Über die Scheinwelt und ihre Gesetze
In Havemanns Artikel "Die Einheitlichkeit von Natur und Gesellschaft" fand ich einen faszinierenden Hinweis auf die „Gesetze des Scheins“, die es zu erkennen gelte. Deshalb habe ich den entsprechenden Text - leicht gekürzt - hier in die Zitate-Seite aufgenommen.
In dem Text spielt er - ohne es explizit zu nennen - offenbar auf
das berühmte „Höhlengleichnis“ von Platon an. Allerdings geht seine Interpretation in eine ganz andere Richtung als bei Platon.
Ausgangspunkt bei beiden ist die sinnlich wahrnehmbare Welt.
Bei Platon soll das Gleichnis die Notwendigkeit darstellen, diese „Schatten“ , die wir in der sinnlichen Welt wahrnehmen, zu überwinden und zur geistigen Welt der Ideen vorzudringen, erst diese kann die wahre Erkenntnis des Wesens liefern.
Bei Havemann geht es andersherum: auch hier ist die sinnliche Welt der noch ungenügende Ausgangspunkt für die Erkenntnis der realen Welt, die man von den Erscheinungen (Er
scheinungen) ausgehend hin zu deren Wesen als Ziel der wissenschaftlichen Erkenntnis weiterführen muss.
Er setzt sich auch mit Ideologien auseinander, die das verhindern wollen und deshalb dieses Wesen „verhüllen“.
Ich habe die entsprechende Textstelle etwas gekürzt und nur die für diesen Gedanken wichtigen Textstellen übernommen:
(Die Textstelle findet sich auf den Seiten 15-16 der genannten Quelle - Rechtschreibung an heutige Regeln angepasst, fette Hervorhebungen im Text von mir - B.K.)
„Weder die Natur noch die Gesellschaft offenbaren unserer Wahrnehmung unvermittelt ihren wahren Charakter. Weil wir durch Unwissenheit behindert und in gesetzmäßig bedingten Vorurteilen befangen sind, nehmen wir statt der Wirklichkeit der Dinge und der Gesellschaft nur einen Schein von ihnen wahr.“
„Wissenschaftliche Erkenntnis heißt also: den trügerischen Schein durchdringen und zu unverfälschten Wirklichkeit vorstoßen. ...“
Eine solche Ideologie wirkt aus seiner Sicht bis in die Wissenschaft hinein:
„die die Verhüllung der Wirklichkeit zum Ziele hat und an die Stelle der Wirklichkeit der Dinge deren Schein zu setzen sucht. Diese Ideologie nennen wir den „physikalischen“ Idealismus. Schein und Wirklichkeit sind verschieden, und doch stehen sie beide in einem engen Zusammenhang miteinander. Das Ziel der Wissenschaft ist nicht nur, den Schein zu überwinden und die Wirklichkeit zu erkennen, sondern auch die Gesetzmäßigkeiten zu erfassen, die das Zustandekommen des Scheins bedingen. Die Erde ist keine Ebene, wie es den Anschein hat, sondern eine Kugel und der sich über uns wölbende Himmel kein flach hingestrecktes Gewölbe, sondern unendliche Ferne des Weltraums. Ein schräg gehaltenes Geldstück ist nicht oval, sondern kreisförmig. Und wenn wir im Fieberanfall frieren, so nicht deswegen, weil es kälter wird, sondern weil unsere Körpertemperatur steigt. An unzähligen solchen Beispielen kann man zeigen, wie die wissenschaftliche Erkenntnis vom Schein zur Wirklichkeit vorstößt und zugleich die Gesetzmäßigkeiten des Scheins erkennt. Die Gesetzmäßigkeiten beruhen keineswegs, wie man vielleicht annehmen könnte, auf bestimmten Fehlern unserer Sinnesorgane, die zu Sinnestäuschungen führen. Sie beruhen vielmehr darauf, dass wir bei jeder Wahrnehmung notwendigerweise von ganz bestimmten, bereits gebildeten Vorstellungen
(S. 16) ausgehen. Die sinnlichen Eindrücke sind, für sich betrachtet, inhaltslos, wenn nicht zu ihnen die bereits erworbene Erfahrung hinzutritt. Der Schein der Dinge hängt also sowohl mit den Gesetzmäßigkeiten der wirklichen Vorgänge als auch mit unseren vorgefassten Meinungen zusammen. Das Menschengeschlecht lernt, von Stufe zu Stufe seiner Entwicklung steigend, mit wachsender Erkenntnis zugleich die Wahrnehmung der Wirklichkeit immer weiter zu vervollkommnen. Mit Zunahme unserer wissenschaftlichen Erkenntnis machen wir uns immer mehr von den uns durch die Natur gegebenen Sinnesorganen unabhängig und erschließen uns das Verständnis von Erscheinungen,
die nur indirekt auf unsere Sinnesorgane wirken.“
Newtons Problem mit der Gleichzeitigkeit - ausführliches Zitat
(S. 11 in "Weltall - Erde - Mensch", Jg. 1954)
„Und selbst Isaak Newton. der Schöpfer der klassischen Mechanik, benötigte bei seinen physikalischen Betrachtungen ein göttliches Wesen nur zur scheinbaren Lösung eines tiefen inneren Widerspruchs seiner Physik, eines Widerspruchs, der erst durch die moderne relativistische Mechanik gelöst wurde, diesmal allerdings gänzlich ohne Zuhilfenahme eines göttlichen Wesens.
Es handelt sich um das Problem der Zeit und der Gleichzeitigkeit im unendlichen Raum. Newton war sich der Problematik des klassischen Zeitbegriffs wohl bewusst. Er musste den Schöpfer aller Dinge zu Hilfe rufen, der als einzige Aufgabe zugewiesen erhielt, die Rolle eines allmächtigen Beobachters zu spielen, dessen beide Augen gleichzeitig die Vorgänge an unendlich entfernten Orten des Weltalls wahrzunehmen und dem göttlichen Bewusstsein zugänglich zu machen fähig sind.“