"Bisher wurden Utopien noch nie verwirklicht"In dieser Absolutheit ist die Aussage einfach falsch. Natürlich wurden schon Utopien und Visionen verwirklicht! Viele gesamtgesellschaftliche Utopien wurden (noch) nicht verwirklicht. Doch Teil-Erfolge hat die Menschheit bei der Verwirklichung ihrer Träume erreicht: vom Bau der Pyramiden und der Chinesischen Mauer angefangen, über den Suezkanal oder den Petersdom, bei der Elektrifizierung der Welt, beim Traum vom "Fernsehen" und Fliegen - vieles ist heute so alltäglich, dass wir schon vergessen haben, welch "utopischen" Träume das einmal waren.Aber auch die zweite Logik-Kette ist falsch: weil es "bisher" nicht funktioniert hat, ist das kein Beweis, dass es in Zukunft auch nicht geht. Als damals die erste Dampf-Lokomotive vorgeführt werden sollte, waren die Leute skeptisch. Keine Pferde, die den Koloss ziehen sollten? Waren die einfach unter dem Metall versteckt? Zauberei - nein, das hielt man denn doch nicht für möglich, vor rund 200 Jahren. Also sagten einige: "Das Ding kann nie fahren!" Doch dann fuhr sie los. Da sagten dieselben Leute: "Und nun kann sie nie mehr anhalten." In diesem Sinne lässt sich nur gestalten, was einmal Traum bzw. Utopie war. "Träumen müssen" - dieses "Muss" meint, dass wir ohne Träume und Visionen, ohne Wünsche und Utopien die Menschheit keinen Schritt vorwärts bringen. Wenn wir Zukunft nicht gestalten, geschieht sie "von allein" - und das meint, dass sie sich chaotisch ergibt, mit all den ungewollten, negativen Folgen chaotisch verlaufender Prozesse. Andersherum muss geschlossen werden: Es lässt sich nur verwirklichen, was zuvor Utopie, Vision bzw. Traum war. |
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Der Mensch ist nicht soGern wird als Gegenargument zu positiven Zukunftsvorstellungen geäußert, dass diese ja schön und gut seien, aber der Mensch dafür gar nicht geeignet sei.Das biblische "... denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf ..." (aus Bibel, AT, 1. Mose 8, 21) nimmt in verheerender Weise Einfluss auf das Menschenbild der Gegenwart, selbst außerhalb christlicher Vorstellungen. Der Mensch sei böse, und gute Menschen gibt es in dieser Sicht nicht, und wo doch jemandem nichts Böses nachgesagt werden kann, wird er als "Gutmensch" verspottet. Ein beliebtes Thema in Philosophie und Kunst ist die Frage, welchen Einfluss die Umstände, die Lebensbedingungen, die Erziehung auf den Charakter eines Menschen haben oder ob die Eigenschaften des Menschen - vor allem natürlich die "bösen", die "egoistischen", die "triebhaften" - angeboren sind. Ist der Mensch also "böse von Jugend auf" und unfähig zum "Gut-Sein" oder ist er doch fähig, sein Verhalten zu steuern, zu entfalten, zu kultivieren? Ich will eine erste Antwort auf die Frage, wie der Mensch denn nun sei, einmal so formulieren: Marktwirtschaft lässt nur die "marktwirtschafts-tauglichen" Eigenschaften des Menschen gelten - eine unvorstellbare Einschränkung menschlicher Möglichkeiten. An dieser Stelle will ich keine umfangreiche Abhandlung darüber schreiben, sondern nur an einigen Beispielen zeigen, welche Möglichkeiten in der Gestaltung sinnvoller Bedingungen liegen, Einfluss auf das Verhalten von Menschen zu nehmen. Zum Beispiel gäbe es in der Rechtssprechung durch ein einfaches Umdenken schon eine erste Lösung: das Recht muss gesprochen werden nach dem Grundsatz: Wiedergutmachung geht vor Strafe. Denn heute befriedigt die Gesellschaft zwar ihr Rachebedürfnis, die Interessen der Opfer an Wiedergutmachung des zugefügten Leides bleiben aber oft auf der Strecke. D. h. allein die Vorrangigkeit der Wiedergutmachung würde eine Revolution des Rechtssystems einleiten, das zur "Befriedung" der Menschen untereinander führen kann. Oder wie ist es mit der Vorstellung, dass die Menschen eben "immer gleich" sind und nicht umdenken können? Das Beispiel der Kriegsbegeisterung und Vorfreude auf den 1. Weltkrieg erzeugt heute schon weitestgehend Unbehagen und Befremdlichkeit. Hier hat ein Umdenken bereits stattgefunden. - Die "kollektive Erfahrung" der zwei Weltkriege als von Menschen gemachten furchtbaren Katastrophen haben dieses Umdenken eingeleitet: Krieg ist nicht mehr "der Vater aller Dinge". Krieg ist unberechenbar und nur noch zerstörerisch - für alle Seiten. Krieg löst keine Probleme mehr, sondern schafft immer schlimmere. Krieg verschlingt, zerstört den Reichtum der Menschheit. Krieg ist in einer "globalisierten" Welt eine Gefahr für die ganze Welt. Die neuen Rahmenbedingungen von "Globalisierung" und waffentechnischen Möglichkeiten verbieten Kriege von vornherein. Globale Probleme verlangen friedliche Lösungen. Die heutigen "Sieger" sind nicht mehr die kulturell oder moralisch überlegenen, sondern die mächtigsten, die die besten Waffen besitzen. Sie exportieren nicht eine "bessere Kultur", sondern produzieren bei den anderen nur Hass und Ablehnung. Mit diesen Erfahrungen hat die Ablehnung von Kriegen zugenommen. Die Kriege sind damit noch lange nicht aus der Welt geschafft. Die Frage, ob z. B. Männer von Natur aus aggressiv und gewalttätig sein müssen, ob sie Soldaten werden müssen, um Eigenschaften wie Teamgeist, Disziplin, Selbstbeherrschung zu lernen, um als Männer "zu reifen", muss daher noch prinzipieller gestellt werden. Alternativen müssen gezeigt werden, wie Männer stark, tapfer, klug, mutig, diszipliniert handeln können - für friedliche Aufgaben. In diesem Punkt hapert es noch sehr. Ken Wilber nannte die Geschichte der Menschheit eine "Geschichte der Zähmung des Testosterons". Darin steckt durchaus eine gewisse Wahrheit. |