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Marx (4) - Zitate aus den "Grundrissen zur Kritik der politischen Ökonomie" von Karl Marx


Diese erste Auswahl an Zitaten befasst sich mit der Idee der "disposable time", bei Marx in englisch geschrieben. Die Übersetzung "Freizeit" trifft nicht ganz das, was Marx damit meint. A

Es geht im weitesten Sinne um die Gegenüberstellung von "notwendiger Arbeitszeit" und "frei verfügbarer Zeit", die jedoch nicht nur für Erholung genutzt wird, sondern auch für - heute würde man sagen - ehrenamtliche Arbeit, Weiterbildung usw.

Bei den folgenden Zitaten beziehe ich mich auf die Ausgabe des Ergänzungsbandes (Band 42) der

MARX ENGELS WERKEN (MEW)
des DIETZ VERLAG BERLIN 1983,
herausgegeben vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED


In diesem Band 42  der MARX-ENGELS-WERKE (MEW42)
sind neben der
    Einleitung zu den "Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie"
    (Oktober 1857 bis Mai 1858, S. 15 - 46)
die
    "Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie"
    (Oktober 1857 bis Mai 1858, S. 47 - 770))
enthalten
Beide Arbeiten gehören zusammen. Ihr Inhalt ist wie folgt untergliedert (Oberste Gliederungsstruktur):

Einleitung zu den "Grundrissen der Kritik der politischen ÖKonomie"
     A. Einleitung
     I. Produktion, Konsumtion, Distribution, Austausch (Zirkulation)

Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie
    II. Das Kapitel vom Geld 
(ab S. 49)
    III. Das Kapitel vom Kapital
(ab S. 165)


Ich zitiere  aus
  III. Kapitel vom Kapital
  Zweiten Abschnitt:  Der Zirkulationsprozess des Kapitals
                                         (ab S. 315)
und dort der Unterabschnitt
     Fixes Kapital und Entwicklung der Produktivkräfte der Gesellschaft
                                          (ab S. 590)

Zuerst geht es um den Produktionsprozess bzw. Arbeitsprozess und seine Bestandteile ("Momente"), die allgemein als Arbeitsmaterial, Arbeitsmittel und lebendige Arbeit bezeichnet werden gegenüber dem Produkt der Arbeit.

Auf S. 593 weist Marx im Zusammenhang mit der Automatisierung des Produktionsprozesses darauf hin:Der Produktionsprozeß hat aufgehört, Arbeitsprozeß in dem Sinn zu sein, daß die Arbeit als die ihn beherrschende Einheit über ihn übergriffe.
Auf S. 594 heißt es dann:Die Vermehrung der Produktivkraft der Arbeit und die größte Negation der notwendigen Arbeit ist die notwendige Tendenz des Kapitals, wie wir gesehn. und
(fette Hervorhebungen in den folgenden Zitaten von mir - B.K.)Das Verhältnis des Kapitals als der die verwertende Tätigkeit sich aneignende Wert ist in dem fixen Kapital, das als Maschinerie existiert, zugleich gesetzt als das Verhältnis des Gebrauchswerts des Kapitals zum Gebrauchswert des Arbeitsvermögens; der in der Maschinerie vergegenständlichte7 Wert erscheint ferner als eine Voraussetzung, wogegen die verwertende Kraft des einzelnen Arbeitsvermögens als ein unendlich Kleines verschwindet; durch die Produktion in enormen Massen, die mit der Maschinerie gesetzt ist, verschwindet ebenso am Produkt jede Beziehung auf das unmittelbare Bedürfnis des Produzenten und daher auf unmittelbaren Gebrauchswert; in der Form, wie das Produkt produziert wird, und in Verhältnissen, worin es produziert wird, ist schon so gesetzt, daß es nur produziert ist als Träger von Wert und sein Gebrauchswert nur als Bedingung hierfür.
S. 596 In demselben Maße, wie die Arbeitszeit — das bloße Quantum Arbeit — durch das Kapital als einziges wertbestimmendes Element gesetzt wird, in demselben Maße verschwindet die unmittelbare Arbeit und ihre Quantität als das bestimmende Prinzip der Produktion — der Schöpfung von Gebrauchswerten und wird sowohl quantitativ zu einer geringem Proportion herabgesetzt wie qualitativ als ein zwar unentbehrliches, aber subalternes Moment gegen die allgemeine wissenschaftliche Arbeit, technologische Anwendung der Naturwissenschaften nach der einen Seite, wie [gegen die] aus der gesellschaftlichen Gliederung in der Gesamtproduktion hervorgehende allgemeine Produktivkraft - die als Naturgabe der gesellschaftlichen Arbeit (obgleich historisches Produkt) erscheint. Das Kapital arbeitet so an seiner eignen Auflösung als die Produktion beherrschende Form.
S. 598
Mit diesem Automatisierungsprozess bzw. (jetzt einmal modern gesprochen) der Wissenschaft als Produktivkraft - wird „die menschliche Arbeit auf ein Minimum reduziert“ Es geht beim Einsatz von Wissenschaft und Technik gar nicht um den Ersatz fehlender Arbeitskraft, sondern um massenhaft vorhandene auf ihr nötiges Maß zu reduzieren
S. 600 In dem Maße aber, wie die große Industrie sich entwickelt, wird die Schöpfung des wirklichen Reichtums abhängig weniger von der Arbeitszeit und dem Quantum angewandter Arbeit als von der Macht der Agentien, die während der Arbeitszeit in Bewegung gesetzt werden ...
S. 601 
(kursive Hervorhebungen in den folgenden Zitaten sind im Original kursiv - die roten Hervorhebungen sind von mir - B.K.)

Der Mensch...tritt neben den Produktionsprozeß, statt sein Hauptagent zu sein. In dieser Umwandlung ist es weder die unmittelbare Arbeit, die der Mensch selbst verrichtet, noch die Zeit, die er arbeitet, sondern die Aneignung seiner eignen aügemeinen Produktivkraft, sein Verständnis der Natur und die Beherrschung derselben durch sein Dasein als Gesellschaftskörper — in einem Wort die Entwicklung des gesellschaftlichen Individuums, die als der große Grundpfeiler der Produktion und des Reichtums erscheint.
...
Sobald die Arbeit in unmittelbarer Form aufgehört hat, die große Quelle des Reichtums zu sein, hört und muß aufhören, die Arbeitszeit sein Maß zu sein und daher der Tauschwert [das Maß] des Gebrauchswerts. Die Surplusarbeit der Masse hat aufgehört, Bedingung für die Entwicklung des allgemeinen Reichtums zu sein, ebenso wie die Nichtarbeit der wenigen für die Entwicklung der allgemeinen Mächte des menschlichen Kopfes. Damit bricht die auf dem Tauschwert ruhnde Produktion zusammen, und der unmittelbare materielle Produktionsprozeß erhält selbst die Form der Notdürftigkeit und Gegensätzlichkeit abgestreift. Die freie Entwicklung der Individualitäten und daher nicht das Reduzieren der notwendigen Arbeitszeit, um Surplusarbeit zu setzen, sondern überhaupt die Reduktion der notwendigen Arbeit der Gesellschaft zu einem Minimum, der dann die künstlerische, wissenschaftliche etc. Ausbildung der Individuen durch die für sie alle freigewordne Zeit und geschaffnen Mittel entspricht. Das Kapital ist selbst der prozessierende Widerspruch [dadurch], daß es die Arbeitszeit auf ein Minimum zu reduzieren strebt, während es andrerseits die Arbeit als einziges Maß und Quelle des Reichtums setzt.

S. 603 / 604 Die Schöpfung von viel disposable time außer der notwendigen Arbeitszeit für die Gesellschaft überhaupt und jedes Glied derselben (d. h. Raum für die Entwicklung der vollen Produktivkräfte der einzelnen, daher auch der Gesellschaft), diese Schöpfung von Nicht-Arbeitszeit erscheint auf dem Standpunkt des Kapitals, wie aller frühren Stufen, als Nicht-Arbeitszeit, freie Zeit für einige. Das Kapital fügt hinzu, daß es die Surplusarbeitszeit der Masse durch alle Mittel der Kunst und Wissenschaft vermehrt, weil sein Reichtum direkt in der Aneignung von Surplusarbeitszeit besteht; da sein Zweck direkt der Wert, nicht der Gebrauchswert. Es ist so, malgre lui, instrumental in creating the means of social disposable time30, um die Arbeitszeit für die ganze Gesellschaft auf ein fallendes Minimum zu reduzieren und so die Zeit aller frei für ihre eigne Entwicklung zu machen.
Fußnote 30: gegen seinen Willen ein Instrument bei der Schaffung der Voraussetzungen für gesellschaftlich verfügbare Zeit
(Anmerkung zu dieser Fußnote:
malgré lui - "trotz ihm"
instrumental in creating the means of social disposable time - "maßgeblich an der Schaffung der Mittel für gesellschaftlich verfügbare Zeit"
Ich interpretiere diese Aussage so, dass das Kapital diese Mittel der zunehmenden Freizeit für die Menschen schafft, ohne dass das seinem Interesse entspricht. Aus Sicht des Kapitals ist dieses so etwas wie ein "Kollateralschaden" des eigenen Gewinn- bzw. Profitstrebens.)

Im weiteren Text leitet Marx  aus dieser Schaffung von disposable time und der Notwendigkeit für das Kapital, diese in "surplusarbeit" - "Mehrarbeit", also in profitbringende Arbeit, umzuwandeln, ab, dass das nicht grenzenlos möglich sein kann, weil die Verwertung dieser "surplusarbeit" (also der Verkauf der in dieser Zeit produzierten Waren und Dienstleistungen) dann nicht mehr ausreichend möglich sein wird. Diese ist ein im Kapitalismus unlösbarer Widerspruch. Je mehr dieser Widerspruch sich entwickelt, um so mehr stellt sich heraus, daß das Wachstum der Produktivkräfte nicht mehr gebannt sein kann an die Aneignung fremder surplus labour 32, sondern die Arbeitermasse selbst ihre Surplusarbeit sich aneignen muß. Hat sie das getan - und hört damit die disposable time auf, gegensätzliche Existenz zu haben - so wird einerseits die notwendige Arbeitszeit ihr Maß an den Bedürfnissen des gesellschaftlichen Individuums haben, andrerseits die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkraft so rasch wachsen, daß, obgleich nun auf den Reichtum aller die Produktion berechnet ist, die disposable time aller wächst. Denn der wirkliche Reichtum ist die entwickelte Produktivkraft aller Individuen. Es ist dann keineswegs mehr die Arbeitszeit, sondern die disposable time das Maß des Reichtums.Fußnote 32: Mehrarbeit
(Hervorhebung im Zitat von mir - B.K.)

PS: Was eine Gesellschaft wirklich reicher macht
Nun zitiere ich noch jemanden, den Jesuiten Prof. Friedhelm Hengsbach
(* 1937), Ökonom und Sozialethiker, u. a. von 1992 bis 2006 Leiter des Nell-Breuning-Instituts für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik
Er zitierte auf einer Veranstaltung der Gesellschaft zur Förderung des christlich-marxistischen Dialogs, die am 03.03.1999 in Dresden stattfand, diesen Nell Breuning, einen katholischen Soziallehrer: "Wir stehen alle auf den Schultern von Karl Marx."In seinem Vortrag griff er diesen Gedanken vom Reichtum der Gesellschaft als Minimierung der notwendigen Arbeitszeit hin zu mehr "disposable time" dahingehend auf, dass er ein - zugegebenermaßen lustiges - Beispiel dafür nannte: "Wenn ich Klavier spielen lerne, wird die ganze Gesellschaft dadurch reicher." Das ist ein Gedanke, für den ich auf dem SPD-Kreisparteitag hier im Kreis Wittenberg am 10.04.1999 heftigstes Gelächter erntete und begriff:
Diese Partei hat ja überhaupt keine Ahnung von ökonomischen Grundfragen, woraufhin ich sie schnellstens verließ.
Ich denke, Hengsbach Beispiel zeigt sehr anschaulich, was Marx mit der "disposable time" meinte.
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Anmerkung A
Es gibt ein kleines Problem mit der Übersetzung von "disposable" aus dem Englischen, da es dort aktuell in zwei Bedeutungen („verfügbar“ und „wegwerf“ bzw. „Einweg-..“) verwendet wird.
Der Text von Marx lässt erkennen, dass er es in der ersten Version - also im Sinne von "verfügbar" (disposable time - "frei verfügbare Zeit" )  - verwendet hat.
Andere Verwendungen sind bekannter: "disposable assets" für "frei verfügbares Vermögen und "disposable income" für "verfügbares Einkommen".