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SPRACHLIEBE - MIT LUST UND LIEBE SPRECHEN

DAS KLATSCHWEIB - PLAPPERMÄULCHEN


Diese Sammlung "Plappermäulchen" kann man auch "Unsinn im ganzen Satz" nennen.

Es sind also nicht einzelne Wörter oder kleine Wortgruppen, die an und für sich Unsinn sind, sondern Sätze oder längere Textpassagen. Erst die "sinnfreie" Zusammenstellung mehrerer Wörter ergibt den  eigentlichen "Unsinnsgehalt".

Meine (noch zu sammelnden) Kostproben bieten - grob gesagt -   unbekümmerte Versionen von Sprechen und Schreiben, die sich nicht an die bekannte Empfehlung halten:
"Vor Öffnen des Mundes Gehirn einschalten!"

Da wird geredet und geplappert, ohne wirklich sinnvolle Informationen weiter zu geben.
Da wird Sprechen zum Selbstzweck, zur "sinnfreien" Geräuschkulisse, zum "Small Talk".
Hierfür ein "Sprechverbot" zu fordern  ist unmöglich, weil das die "Meinungsfreiheit" beeinträchtigen würde. Man kann also nur hoffen, dass immer mehr Menschen mit einem Gefühl für Sprache sich den Plappermäulchen einfach verweigern.

Es geht los:
- Die "Bereitschaft, die eigene Verwundbarkeit aufs Spiel zu setzen"
- Der Stopp der Abwanderung hat "noch nicht überall Fuß gefasst"
- "Die Grenzen der Schwerelosigkeit aufheben"
- "Mischlinge können ebenso wertvoll sein wie Rassehunde."
- "Der Glaube an die Hoffnung stirbt zuletzt."
- Kleine Kuriositätenkammer
- Tiere vermenschlichen (neu 20.11.2017)


• Die "Bereitschaft, die eigene Verwundbarkeit aufs Spiel zu setzen"
Der Sinn dieser  Bemerkung erschließt sich  mir nicht sofort. "Aufs Spiel setzen" bedeutet, bereit sein ein Risiko einzugehen und das vorher Genannte zu verlieren - zum Beispiel:
  "Er war bereit, sein ganzes Vermögen aufs Spiel zu setzen."
Gefunden habe ich die obige Bemerkung in der Wikipedia unter "Vulnerabilität". Das Fremdwort steht für "Verwundbarkeit" bzw. "Verletzbarkeit". Man könnte also die obige Bemerkung so ergänzen:
Wenn jemand die "eigene (!) Verwundbarkeit" aufs Spiel setzt, kann es passieren, dass er sie verliert. - ? Was soll das um Gottes Willen heißen?

Der ganze Abschnitt aus der Wikipedia sei zitiert, vielleicht erschließt sich dann der Sinn:
(rot-fette Hervorhebung im Text von mir - B.K.)Theologie
In der christlichen Theologie wird Vulnerabilität derzeit in verschiedenen Fachdisziplinen (Gotteslehre, Christologie, Pastoral, Ethik) zu einem Schlüsselbegriff entwickelt. So wird in gesellschaftsrelevanten Themen wie Migration, Armutsbekämpfung, Widerstand gegen Rechtsextremismus, Überwindung von Gewalt und Engagement für Menschenrechte eine neue Anschlussfähigkeit gewonnen. Theologischer Ausgangspunkt ist die Überzeugung, dass Gott in Jesus von Nazareth Mensch wird und sich damit freiwillig der menschlichen Verwundbarkeit aussetzt – von Geburt an (hohe Vulnerabilität von Säuglingen) über sein öffentliches Auftreten bis hin zum gewaltsamen Tod am Kreuz. Hiermit wird ein Kontrapunkt zu vorherrschenden Debatten gesetzt, wo meist versucht wird, Verwundungen zu vermeiden. Im Sinne der Vulnerabilität erfährt auch das Weihnachtsfest (Lukasevangelium 1,5-2,52; Matthäusevangelium 1,18-2,23) eine neue Deutung: Mit den Themen Geburt, Migration und Flucht steht es für die Bereitschaft, die eigene Verwundbarkeit aufs Spiel zu setzen, damit Andere vor Bedrohungen geschützt werden. Die Theologie setzt darauf, dass aus dem Wagnis der Verwundbarkeit eine Macht wächst, die Leben stiftet, die beflügelt und inspiriert: Um zu leben, ist vielfacher Selbstschutz notwendig; um human zu leben, braucht es aber genauso das Wagnis der Verwundbarkeit. Menschen und ihre Gemeinschaften (Familie, Stadt, Staat, Religion usw.) stehen damit in verschiedensten Lebenskontexten vor der Doppelfrage: Wo ist es notwendig, sich selbst und die eigene Gemeinschaft zu schützen? Wo ist es notwendig, die eigene Verwundung zu riskieren?[4] Auch im interreligiösen Diskurs wird Vulnerabilität immer mehr als ein Schlüsselbegriff gesehen, dessen Bedeutung erst in Ansätzen erfasst ist.

"... und sich damit freiwillig menschlicher Verwundbarkeit aussetzt"
Was ist denn das für eine Sprache? Ein Mensch ist verletztlich, verwundbar, empfindlich, feinfühlig, von mir aus auch "zart besaitet".  Die Verdinglichung  dieser Eigenschaft bzw. Fähigkeit zur "Verwundbarkeit" mag in allgemein-psychologischen Betrachtungen noch hinnehmbar sein. Wenn jedoch der einzelne Mensch (wie im obigen Text Jesus) gemeint ist, dann ist eine solche Formulierung grauenvoll!

Kein Mensch setzt sich seiner Verwundbarkeit aus! Das ist kein Fremdes, dem er ausgeliefert ist. Man setzt sich äußeren Dingen bzw. Gegebenheiten freiwillig oder unfreiwillig aus oder man flieht vor ihnen: vor der Sklaverei, vor dem Krieg, vor der Dürre. Dingen "ausgesetzt zu sein" beinhaltet im eigentlichen Sinne des Wortes den Aspekt der Unfreiwilligkeit, der Not, des Drucks, des Zwangs.

Dass die Bemerkung so gemeint sein könnte, dass Menschen tatsächlich "ihre Verwundbarkeit aufs Spiel setzen", also das Risiko eingehen, sie zu verlieren, das halte ich für  eher unwahrscheinlich.  Das hieße dann, dass sie "robust" werden, sich ein "dickes Fell" zulegen.
Das ergäbe noch weniger Sinn als die eigentlich von mir zitierte Plapperei. Denn sensible Menschen KÖNNEN gar nicht robust werden!
Das ist (mit einem weit hergeholten Vergleich) so ählich wie mit dem Lesenlernen, das kann man auch nicht wieder "verlernen" und wenn man sich noch so mühen würde (außer natürlich bei Unfällen mit Schädelverletzung).
Genau so ist die Sensibilität, die Feinfühligkeit die "höhere Qualität des Mensch-Seins".

Das Gegenwort zu "Vulnerabilität" ist übrigens "Resilienz" bzw. "psychische Widerstandsfähigkeit". Kinder verschiedener sozialer Gruppen werden z. B. danach eingestuft, wie "resilient" sie sind.
Gemeint ist damit  (Zitat aus der Wikipedia zu Resilienz (Psychologie)):"die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen und sie durch Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen als Anlass für Entwicklungen zu nutzen." Dann muss man wohl "Vulnerabilität" als Unfähigkeit zur Krisenbewältigung verstehen, als psychologisches Problem?
Noch mal  die Wikipedia zitiert:
       Das Gegenteil von Resilienz ist Verwundbarkeit (Vulnerabilität).

        "Mein Herz muss barfuß gehen durch diese Welt,
          kein Schutz für seine Zehen wird ihm gestellt ..."
Wenn Kurt Demmler nun getextet hätte           "Mein Herz setzt sich der Verwundbarkeit aus ..."? Ich fürchte, dann wäre dieses Lied nicht so berühmt und beliebt geworden.
(ausführlich zu dem Lied →VOLKSLIEDER - in DIE BESTEN GEDANKEN » VOLKSLIEDER + VOLKSKUNST)
• Der Stopp der Abwanderung hat "noch nicht überall Fuß gefasst"
Egal, ob dies ein bewusstes oder unbewusstes Wortspiel ist - aus Politikermund gefahren muss diese Bemerkung es sich gefallen lassen, vom Klatschweib in das Schubfach "Plappermäulchen" gepackt zu werden. Es ging dabei um die Abwanderung von Menschen aus Sachsen-Anhalt in andere (westliche) Bundesländer, immer der Arbeit und den besseren Lebensbedingungen hinterher. Diese Massenbewegung zu stoppen ist jedoch kein politischer Erfolg kluger Wirtschaftspolitik - das Wort "Stopp" suggeriert, hier habe es aktive Gegenmaßnahmen gegeben. Nein, der Menschenstrom ist einfach "versiegt" - es sind gar nicht mehr genug junge Leute da, die noch abwandern können.
Wer hat's gesagt? Unser Landesvater, der Dr. Reiner Haseloff - wiedergegeben wurde es in der MZ vom 07.01.2017 auf S. 6.
Das Klatschweib könnte jetzt kalauern:
Wenn man das Abwanderungsproblem auf die lange Bank schiebt, ist es irgendwann von allein verschwunden, sozusagen abgewandert.

Aber das ist ihr zu doof. (15.01.2017)
 Merke: Eine Übertreibung beim bildhaften Sprechen verkehrt sich leicht ins Gegenteil.
• "Die Grenzen der Schwerelosigkeit aufheben"
Lange habe ich gerätselt, was damit gemeint sein könnte, bis mir klar wurde, dass hier die "Aufhebung der Grenzen der Schwerkraft" gemeint sind.
Entnommen habe ich diese Formulierung der MZ vom 18.08.2016, S. 26. Dort wird die "Erlebnisnacht" in Wittenberg am 20.08.2016 angekündigt. Ein Künstler, ein Körperillusionist, verspricht obiges Erlebnis - wörtlich:
"Die Grenzen der Schwerelosigkeit aufzuheben, vermag der Körperillusionist Herr Niels." (15.08.2016)

• "Mischlinge können ebenso wertvoll sein wie Rassehunde."
(MZ 03.08.2016, S. 1)
Wo der Wert eines Gegenstandes an seinem Preis, der Wert eines Menschen an seinen Leistungen gemessen wird, sind Rassehunde immer "teurer, also wertvoller" als Mischlinge. Hier lauert sozusagen eine animalische Version von Rassismus.
Man sollte einmal kleine Kinder fragen, die einen  Hund der "Rasse" Dokö (für "Dorfköter") in ihr Herz geschlossen haben, ob sie ihn gegen einen sehr, sehr teuren Rassehund austauschen möchten. Denen dürfte ihr "Mischling" wertvoller sein - die definieren den Wert eines Lebenwesens noch nicht nach Preisen.  
(Eigentlich  wurde in diesem Beispiel nicht "geplappert". Ich lasse es jedoch so lange hier stehen, bis mir ein passenderer "Schubkasten" eingefallen ist.)
• "Der Glaube an die Hoffnung stirbt zuletzt."
Man soll es nicht glauben, auch dusslige Zitate haben ihren Reiz. Günter Emmerlich wurde in der MZ vom 21.12.2015 auf S. 8 zitiert mit :
"Der Glaube an die Hoffnung stirbt zuletzt." Im Original heißt diese Redewendung allerdings "Die Hoffnung stirbt zuletzt." Nun rätsele ich: Was will uns der Künstler Emmerlich damit sagen? Hat diese Wortgruppe überhaupt eine Aussage?
Sicher kann man - so ganz allgemein - an die Hoffnung glauben im Sinne, dass man sie für wichtig hält. Hoffnung wird allgemein als "Glaube an eine positive Zukunft", als "Favorisierung bester Möglichkeiten aus einem Spektrum von guten und schlechten Möglichkeiten" verstanden. In diesem Sinne hat er also gesagt: "Der Glaube an den Glauben an die Zukunft stirbt zuletzt."
• Kleine Kuriositätenkammer (Deutsche Sprache - schöne Sprache) "Die Hängebrücke ist ein Leuchttumprojekt"sagt die Geschäftsführerin des Harzer Tourismusverbandes
(MZ 31.07.2017, S. 3)

Der Satz ist so gut, den sollte man öfter mal sagen - vor allem, wenn man jemanden verwirren will.

Nun kann ich sogar noch eins drauf geben - gefunden habe ich diesen Satz in der MZ vom 01.08.2017 auf S. 7. Dort wird aus einer E-Mail der Wittenberger Stadtverwaltung an die MZ zitiert: "Grundsätzlich ist die illegale Müllentsorgung Aufgabe des Landkreises."
Herr Söder, Ministerpräsident des Freistaates Bayern, wird in der MZ vom 30.07.2018 auf S. 6 zitiert: "Seit 2015 ist das Land ein Stück weit auseinandergerissen." Diese invasiv sich verbreitende Floskel "ein Stück weit" liefert in diesem Satz eine zusätzliche Komik aus der anderen Betonung  bzw. Zusammenfassung der Worte zu  Gruppen: "weit auseinandergerissen" und "ein Stück"  - das ist paradox: entweder ist etwas "ein Stück auseinandergerissen" oder "weit auseinandergerissen".
Eigentlich würde "ein Stück" (für "etwas", "ein wenig") genügen, warum kommt dann noch das Wort "weit" nach?
Und warum - um Gottes willen - lieben Politiker eigentlich solche Floskeln so sehr?
• Tiere vermenschlichen
Seit langem fällt mir auf, dass bei der Beschreibung von Tieren oft Wörter verwendet werden, die eigentlich für spezifisch menschliches Verhalten gelten.
Da ist von "schwangeren" Tieren die Rede statt von "trächtigen".
Auf einmal können sie "essen" oder "trinken", früher sprach man von "fressen" oder "saufen".
Zum Beispiel war in der "MZ" vom 14.11.2017 auf der Kinderseite (!) dick in einer Überschrift zu lesen: "Warum auch Tiere gesund essen sollten"(Notiz vom 20.11.2017)