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REFLEXIONEN - NACHDENKEN ÜBER DIE BESTEN GEDANKEN

DAS GEISTIGE EIGENTUM

Gestatten Sie mir, einleitend eine persönliche Erfahrung zu schildern, in der es um die Frage geht, ob ich die Gedanken von Konfuzius Quelle zu den meinen gemacht habe und was eigentlich "meine Gedanken" sind.

Es folgen das Lied Die Gedanken sind frei und  eine Betrachtung rund um das Problem einer effektiven Wissens-Speicherung - verdichte, konzentrieren, optimieren.

Den Abschluss bildet die Argumentation, warum geistiges Eigentum "enteignet" werden muss: Geistiges Eigentum ist ein "Widerspruch in sich" , behindert die Entfaltung des geistigen Reichtums der Menschheit.

Die Gedanken des Konfuzius oder meine Gedanken?


"Was du ererbt von deinen Vätern,
erwirb es, um es zu besitzen."

Diesen Ausspruch Goethes erklärte unser Deutschlehrer uns so, dass hier nicht das materielle, sondern das geistige Erbe unserer Vorfahren ("geistige Väter"  kann man viele haben) gemeint ist. Er sprach davon, dass diese Aneignung ein anstrengender Prozess ist und schwerer als ein materielles Erbe anzutreten. 

Vielleicht  rührt von den "geistigen Vätern" auch die Formulierung her:
Da sieht man doch, "wes geistigen Kindes" jemand ist. 

An dieser Stelle möchte ich meine Verehrung für meinen lange verstorbenen Deutschlehrer Franz Thieß ausdrücken, dem ich so viel verdanke. Denn das habe ich erst Jahre später verstanden, wie sehr er mich geistig geprägt hat.
Leider habe ich mich nie bei ihm bedankt.


Unsäglich quälend ...
... empfand ich Prüfungen, in denen man die genauen Quellenangaben wissen musste. Sonst gab es schlechte Noten. Nicht der erkannte Gedanken und seine Interpretation oder die Kreativität bei seiner Anwendung zählten, sondern allein die möglichst wörtliche Wiedergabe und die Angabe, wer wann was geschrieben und in welchem Buch - auf welcher Seite! - es zu finden sei.  Das erschlug jede Begeisterung für den gerade gelesenen, als wichtig erkannten und "vereinnahmten" Gedanken.

Meine Erfahrung mit den Gedanken von Konfuzius
Einmal empfahl mir jemand, Konfuzius zu lesen. Ich erwiderte, dass ich das bereits viele Jahre zuvor getan hätte. Doch dann - oh Schreck - fiel mir nicht ein einziger Gedanke von Konfuzius mehr ein.  Das konnte nicht sein! Ich war doch damals so begeistert von ihnen gewesen!
Wieso hatte ich "alles vergessen"?

Als ich wieder in das kleine Büchlein sah, musste ich mit größtem Erstaunen einen mir damals seltsam erscheinenden Effekt feststellen:
Konfuzius hatte seine Lehren in kleine Geschichten, in kleine Gespräche zwischen dem Meister und seinen Schülern, verpackt. In jeder Geschichte wurde ein allgemeiner Gedanke veranschaulicht:
Selbstdisziplin,  Gestalten guter zwischenmenschlicher Beziehungen, Stellung zu Reichtum und Macht usw.
Seine Lehren und Gedanken hatte ich "mir angenommen", sie hatten meine Zustimmung gefunden, waren "meine Gedanken", meine Auffassungen und Überzeugungen geworden.
Anders gesagt: ich benötigte die Geschichten nicht mehr, um mir diese Lehren zu veranschaulichen.  Deshalb konnte ich sie "vergessen".

Wenn mir  in dieser Situation jemand gesagt hätte, dass ich immer genau trennen muss: das ist mein Gedanke, das ist Konfuzius' Gedanke, dem hätte ich gesagt, er sei ein Vollidiot.

Fremdwissen und eigenes Wissen
Mit diesem Nachdenken über das Erlebte wurde mir der Unterschied zwischen "Fremdwissen" und "eigenem Wissen" deutlich: Fremdwissen,  Gedanken anderer kann man auch dann wiedergeben, wenn man die Aussagen nicht teilt.
Man kann z. B. durchaus das Ptolemäische Weltbild darstellen, auch wenn man selbst das heliozentrische Weltbild für richtig hält. Oder man kann die Position eines Materialisten in ihren Wesenszügen auch dann durchaus richtig wiedergeben, wenn man sie für falsch hält oder sogar bekämpft.
Man kann auch ganz beliebiges Fremdwissen - ggf. sogar Wort für Wort - wiedergeben, nachplappern wie ein Papagei, wenn es gewünscht ist, ohne dass man etwas verstanden hat oder es für richtig hält.
Das ist auch eine Frage des Gewissens, des Ge-Wissens. Denn dieses Verhalten ist das von Dummköpfen, Mitläufern, Schmeichlern.

Eigenes Wissen meint das, was  ich vertrete, wovon ich überzeugt bin, wofür ich sogar kämpfe. Menschen, die gezwungen waren, ihr sich selbständig angeeignetes Wissen als richtig zu verteidigen, hatten es schwer in der Geschichte. Oft wurden sie verfolgt, eingesperrt oder sogar umgebracht. Ich erinnere an Giordano Bruno und an Hypatia, die Anfang des 5. Jh. als nichtchristliche Wissenschaftlerin in Alexandria vom christlichen Mob ermordet wurde.

Ich hoffe, diese Überlegungen sind "selbsterklärend"  dahingehend, dass ein geistiger Fortschritt nicht mit dem gedankenlosen Nachplappern fremder Gedanken möglich ist, sondern nur mit dem "An-Eignen", dem "Zu-Eigen-Machen" des Wissens, das man für richtig und wichtig hält.

 Identitätsverlust oder Identitäts-Erweiterung?
Dieses Thema berührt eine weitere, noch grundlegendere Frage - die nach der menschlichen Identität  - es hat den Anschein, dass ich in dem Zusammenfließen eigener und fremder Gedanken irgendwie meine Identität verliere.
Doch es ist eigentlich viel spannender und schöner: in dieser  sich auflösenden Grenze zwischen meinen und fremden Gedanken erweitert sich meine Identität - sie hat Teil an etwas Größerem: 
Indem ich auswähle, wessen und welche Gedanken ich zu "meinen eigenen" mache, beeinflusse ich mich, meine Gedankenwelt, mein Leben.
Eigne ich mir "die besten Gedanken" der Welt an, werde ich Teil dieser besten aller (Gedanken-)Welten.

Die Gedanken sind frei ...

Das Lied "Die Gedanken sind frei" gibt es in mehreren Textversionen. So ist es selbst ein Beispiel für die Variation eines Grundgedankens in verschiedenen konkreten Ausprägungen.
Eine genaue Quelle des hier wiedergegebenen Textes kann ich  nicht angeben. Ich habe ihn vor vielen Jahren einmal aus dem Internet gezogen, ohne mir die Quelle zu notieren..
Als Ersatz-Quelle empfehle ich die Information der Wikipedia zu diesem Lied:
de.wikipedia.org/wiki/Die_Gedanken_sind_frei »externer Link«

1.  Die Gedanken sind frei,
Wer kann sie erraten,
Sie fliegen vorbei,
Wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen,
Kein Jäger sie schießen
Mit Pulver und Blei.
Die Gedanken sind frei!

2. Ich denke, was ich will,
Und was mich beglücket,
Doch alles in der Still’,
Und wie es sich schicket.
Mein Wunsch, mein Begehren
Kann niemand verwehren,
Es bleibet dabei:
Die Gedanken sind frei!

3. Und sperrt man mich ein
In finsteren Kerker,
Ich spotte der Pein
Und menschlicher Werke.
Denn meine Gedanken
Zerreißen die Schranken
Und Mauern entzwei,
Die Gedanken sind frei!

4. Drum will ich auf immer
Den Sorgen entsagen
Und will dich auch nimmer
Mit Willen verklagen
Man kann ja im Herzen
Stets lachen und scherzen
Und denken dabei:
Die Gedanken sind frei!

"Anders-Denkende"
Die Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden.
(Rosa Luxemburg)

Eng verwandt mit der Gedankenfreiheit ist das, was man "Narrenfreiheit" nennt. Doch das ist schon wieder ein anderes Kapitel ...

verdichten, konzentrieren, optimieren

Das Auto als Beispiel
Wissen und Können der Menschen (individuell und als Gruppe bzw. als Menschheit) macht einen  Verdichtungs-, Konzentrations- bzw. Optimierungsprozess durch.
Die ersten Autos sahen aus wie Postkutschen, was bei den damals erreichten Geschwindigkeiten noch kein Problem war. In den heutigen Autos stecken Wissen und Erfahrungen, Können und Misserfolge, Anstrengungen und Hoffnungen von nun schon Generationen von Autobauern. Allein die Namenslister derjenigen, deren Wissen in diese Autos eingeflossen ist, dürfte dicke Bücher füllen. Kein Mensch käme auf die Idee, in jeder Gebrauchsanweisung alle diese Namen zu nennen. Nur wenige interessieren sich für die historischen Details.

So ähnlich muss es beim Wissen insgesamt passieren:
die besten Erkenntnisse müssen in einer Art "Gebrauchsanweisung" komprimiert werden, ohne dass jeder, der sie anwendet,  ihre Geschichte  lange auswendig lernen muss, also auch die Namen der "Vor-Denker" kennen muss.
Natürlich gibt es auch anhand der Geschichte der Erkenntnis  einiges zu lernen, doch man muss abwägen, in welchem Umfang es nötig ist, dieses Wissen im Einzelfall weiter zu geben.
Anders gesagt: die Verantwortung der Lehrenden wächst weiter.  

anwendungsbereites Wissen
Als Physikerin weiß ich um die Not vieler Kinder im Physik- und Mathematikunterricht. Sie werden mit abstraktem Wissen regelrecht zugeschüttet, mit Formeln "bombardiert" - und wenn die Schulzeit vorbei ist, haben sie das meiste wieder vergessen.  Auf der anderen Seite sind  viele nicht in der Lage, einfachstes mathematisches und physikalisches Wissen im praktischen Leben anzuwenden. 
Ich denke auch an die Schäden, die durch unsachgemäßen Umgang mit Chemikalien entstehen, weil der Chemieunterricht vielleicht auch nur Wissen eingetrichtert, aber nicht Verantwortungsbewusstsein für eigenes Handeln im Umgang mit Chemikalien entwickelt hat.
Wissen muss also auch danach vermittelt werden, wer was warum und in welchem Umfang wissen muss, um Schäden zu verhindern

mühsames Aneignen (An-Eignen, Zu-Eigen-Machen, zum Eigentum machen)
Eine sehr zeitaufwendige, anstrengende Erfahrung  will ich ebenfalls wiedergeben: vieles Wissen ist auf unterschiedlichem Niveau  festgehalten. Schlampige Recherchen, Ungenauigkeiten, teilweise nicht erkennbare Fehler machen es schwer, in der Fülle des Angebotes das Richtige zu finden. Viel Zeit geht verloren bei der Suche nach optimalen Wissensquellen. Viele Bücher landen im Papierkorb, weil sie einfach "zu doof" geschrieben sind.
Im Sinne einer sicheren und mit geringem Aufwand verbundenen  Wissens-Aneignung wäre eine "Auslese", eine Optimierung der möglichen Informationsquellen, vor allem deren Einschränkung  auf eine überschaubare Anzahl wünschenswert.

Natürlich steht so ein Wunsch im Widerspruch zum Grundgedanken der freien Meinungsäußerung und der Freiheit von Forschung und Lehre.
ABER - Widersprüche sind die Triebkraft der Entwicklung, lehrt die Dialektik.  Dieser Widerspruch muss trotzdem gelöst werden, wenn wir nicht eines Tages in der verzweifelten Suche nach brauchbaren Informationen in einer Informations-Müllhalde umkommen wollen.

Auch hier gibt es mit der Wikipedia schon ein sehr schönes Modell. Und ansonsten kann man nur hoffen, dass Menschen, die ihr Wissen weitergeben wollen, das mit großer Verantwortung und Sorgfalt tun.

Der "Besitz" von geistigem Eigentum als "Widerspruch in sich"

Der Streit
Wenn zwei den gleichen Film gesehen haben und ihn beschreiben, dann wird es notwendigerweise dazu kommen, dass beide  etwas „gleiches“ oder „ähnliches“ beschreiben.
Da wäre es doch absurd, wenn einer den anderen beschuldigt, ihm sein „geistiges Eigentum“ gestohlen zu haben.
Doch in Wissenschaft  und Technik war und ist dieser Streit normal. Was wurde schon an Ideen gestohlen und als eigene ausgegeben, wie haben sich Kontrahenten gegenseitig das Leben schwer gemacht in jahrelangen Rechtsstreitigkeiten. Auch vor Mord und Totschlag hat man nicht zurückgeschreckt, wenn es darum ging, als "Erster" Anerkennung, Ruhm und materielle Ergebnisse einzufahren.
Dem wissenschaftlich-technischen, dem Erkenntnis-Fortschritt hat das letztendlich wenig genutzt, im Gegenteil, vermutlich hat das alles eher zu Verzögerungen  geführt.

Unvorstellbar?
Aus heutiger Sicht des "Haben-Denkens" und aus der Notwendigkeit, sein Wissen und Können zu vermarkten, um leben zu können, ist dieser Streit verständlich.
Unvorstellbar mag es erscheinen, dass es diesen Streit eines Tages nicht mehr geben wird. Wie sollte das aussehen?

Das beste "Gegenbeispiel" ist die Internet-Enzyklopädie "Wikipedia": Menschen, deren Lebensunterhalt gesichert ist (das ist eine wesentliche Bedingung!), sind frei genug, ohne Lohn bzw. ohne materielle oder finanzielle Gegenleistung ihr Wissen zum Nutzen aller kostenlos zur Verfügung zu stellen. Es sind nicht nur Edelmut und Altruismus, die sie zu diesem Handeln verführen. Es ist die reine Freude an dieser Tätigkeit. Natürlich spielt der Nützlichkeitseffekt, das angenehme Gefühl, anderen etwas Gutes tun zu können, eine Rolle. Doch ich denke, die an der Wikipedia mitarbeiten, genießen es auch, einen Beitrag zu leisten, das Wissen der Menschheit in komprimierter  Form zu bewahren und ständig zu aktualisieren.

Warum soll ähnliches Verhalten nicht eines Tages auch für andere Arbeiten, vor allem für technische Neuerungen, denkbar sein?
Wie gesagt, die materielle Absicherung der Entdecker, Erfinder, Techniker, Konstrukteure usw. ist Voraussetzung.

Mit einem "Bürgergeld" oder einem "Grundeinkommen"  wäre schon ein großer Schritt nach vorn getan, dass noch mehr Menschen ihrer Kreativität, ihrem Wissen freien Lauf lassen für Projekte wie die Wikipedia.
Auch sie ist eine Gruppenarbeit, bei der der Name des Einzelnen nur wenigen bekannt ist. Der Einzelne ist zufrieden sagen zu können: "Da steckt auch meine Arbeit drin."


Der Widerspruch - Vermehrung des Reichtums durch Teilung
Geistiger Reichtum hat dem materiellen Besitze eines voraus: er ist teilbar und  - das bitte ich besonders zu beachten -  er vermehrt sich dadurch noch. 
Materieller Besitz wird weniger, wenn er geteilt wird.


Der Widerspruch zwischen Reichtum und Eigentum
Aus diesem Unterschied heraus ist es schon irrsinnig, auf eine solche Vermehrung des geistigen Reichtums zu verzichten. Je mehr Menschen An-Teil daran haben, desto reicher wird die Menschheit als Ganzes.

Alle privaten Ansprüche auf ein "geistiges Eigentum"   bedeuten letztlich nur, einschränkende Bedingungen für dessen Weitergabe festzulegen, i. a. über die Kosten für die Verteilung dieses Reichtums an andere. D. h., dieser Anspruch auf geistiges Eigentum ist der Vergrößerung des geistigen Reichtums der Menschheit hinderlich.

Als Konfuzius seine Gedanken weiter gab, ging es ihm bestimmt nicht um persönliche Bereicherung, sondern um die weitestmögliche Verbreitung dieser Gedanken.

Je mehr  Menschen von  der Nutzung des geistigen Reichtums  der Menschheit durch Preise, Lizenzen, Patente oder Geheimhaltung  ausgeschlossen  sind, desto ärmer ist die Menschheit, desto langsamer entwickelt sie sich geistig fort. Privater Anspruch auf geistigen Besitz ist also fortschrittsfeindlich.

Den sogenannten Entwicklungsländern oder Ländern der "Dritten Welt" wäre vermutlich schon sehr geholfen, wenn sie kostenlosen Zugang zu dem bisher angesammelten Wissen hätten.

Leichter Zugang zu Wissen und Fertigkeiten für alle, auch für die Kinder aus sogenannten "bildungsfernen Schichten" gehört ebenfalls dazu. Z. B. gehören auch Fähigkeiten  dazu wie das Spielen eines Instruments oder der Umgang mit einem Reitpferd, Auto, Computer, mit Sportgeräten, mit Handwerkstechniken
usw.

Alles, was nötig ist, die allseitige Entwicklung eines Kindes zu ermöglichen, muss kostenlos oder für symbolische Beiträge zur Verfügung stehen, damit jedes Kind Zugang zu diesen Dingen hat.
Wenn es darum geht, dass Kindern ihre Talente entdecken und entfalten, ihre Interessen ausprobieren, dann darf es nichts geben, was sie daran hindert.
Denn sie sind die Träger und Multiplikatoren des geistigen Reichtums der Menschheit für die Zukunft, sie werden ihn bewahren, erweitern und entfalten.