DIE BESTEN GEDANKEN
DIE BESTEN GEDANKEN AUS PHILOSOPHIE UND ETHIK

FERNANDO SAVATER SCHREIBT EINE MORALVORSCHRIFT: "TU, WAS DU WILLST"

Das Buch nennt sich mit vollem Titel: 
"Tu, was du willst - Ethik für die Erwachsenen von morgen"
A1,

In dem Buch finden sich so viele wunderbare Gedanken, dass mir die Auswahl schwer gefallen ist. Deshalb - um Ihre Geduld nicht zu sehr zu strapazieren und Ihre Neugier wach zu halten - biete ich hier schon ein erstes Schnupperangebot an, ehe  es   Informationen über Buch und Autor sowie eine ausführliche Zitatesammlung aus dem Buch gibtA2: Ich kenne niemanden, der vor lauter Glück böse ist oder der aus Freude seinen Nächsten quält. Bestenfalls gibt es ziemlich viele Leute, die, um zufrieden zu sein, nichts von dem Leiden erfahren wollen, das es in ihrer Umgebung in Hülle und Fülle gibt und an dem sie zum Teil mitschuldig sind. Aber auch die Ignoranz, auch wenn sie mit sich selbst zufrieden ist, ist eine Form des Unglücks.

Man kann also sagen: Je glücklicher und fröhlicher sich jemand fühlt, um so weniger Lust hat er, böse zu sein. ..."

Wenn es auf den ersten Blick erscheinen mag, als ob Savater die Willensfreiheit übertreibt und zu einer Art "Willkür" aufruft, ist genau das Gegenteil der Fall. Er führt statt dessen den Begriff der Freiheit weiter zum Begriff der Verantwortung - für das eigene Leben und für die Beziehungen zu anderen Menschen.

Besonders wichtig erscheint mir, dass er das "Ideal der vereinten Menschheit" vertritt.
Da Savater gern andere zitiert und das Buch auch eine wunderbare Zitatensammlung aus rund 2000 Jahren Geistesgeschichte enthält, beziehe ich einzelne dieser Zitate anderer Personen mit ein.

   1. Über Buch und Autor
   2. Zahlreiche Zitate aus dem Buch
   

1. Über Buch und Autor


Savater, Fernando
Tu, was Du willst
Ethik für die Erwachsenen von morgen

Aus dem Spanischen von Wilfried Hof
Campus Verlag Frankfurt / New York
6. Auflage 1999, 154 Seiten,
ISBN 3 - 593 - 36972 - 1



Es fällt schwer, sich zu beschränken, denn
das ganze Buch ist interessant. 
Es ist schon lange her, dass es erschienen ist. Q1

Titelbild des Buches
In unserer schnellebigen Zeit wird heute kaum noch jemand darauf stoßen. Doch vielleicht kann ich den einen oder anderen interessieren, dieses Buch selbst zu lesen oder einem jungen Menschen zu schenken.

Über Fernando Savater berichtete das Buch u. a.:
Fernando Savater, geb. 1947, ist Professor für Philosophie an der Universität Complutense in Madrid.
Weitere Bücher von ihm werden erwähnt:
        "Sei kein Idiot"
         "Darum Erziehung"
Letzteres soll "vehemente Diskussionen" nicht nur in Spanien darüber ausgelöst haben,  „was die eigentliche Aufgabe von Erziehung und Bildung ist.”  Entweder hat Deutschland diese Diskussion verpaßt oder wohl nicht für nötig gehalten.

Die Wikipedia schreibt über ihn
(Stand 31. 10. 2013, Hervorhebungen im Text von mir - B. K.) "Im Gefolge von Spinoza vertritt er eine Ethik des Willens im Gegensatz zur Ethik der Pflicht: Die Menschen verfolgen von Natur ihre Glückseligkeit, und die Funktion der Ethik ist es nur, diesen Willen klarzulegen und mögliche Verwirklichungsformen aufzuzeigen. Sie soll daher das menschliche Handeln nicht an abstrakten, von der menschlichen Glückseligkeit losgelösten Kriterien beurteilen."

und
"Inspiriert vom humanistischen Ideal der vereinten Menschheit lehnt Savater jede Form des Nationalismus ab ..."


2. Zahlreiche Zitate aus dem Buch:

Im folgenden reihe ich einfach Textstellen, die mir besonders gut gefallen haben, aneinander, wobei auch die Zwischenüberschriften aus dem Buch entnommen sind.  Wenn er selbst andere Autoren zitiert, habe ich das mit "Fremdzitate" gekennzeichnet.
Die Zitate aus seinem Buch sind im folgenden nicht extra gekennzeichnet, sind in der normalen Schrift geschrieben.
Hervorhebungen in den Zitaten durch fette Schrift bzw. rote-fette Schrift sind von mir - B.K.

Meine seltenen Zwischentexte sind in einfach-kursiver Schrift. Natürlich habe ich die Seitenangaben ergänzt.

Hier zuerst die Inhaltsübersicht
(in Klammern kursiv: kleine Ergänzungen von mir - B.K.)


Antipädagogischer Hinweis
Prolog
1. Woher die Ethik kommt
2. Befehle, Gehorsam und Launen
3. Tu, was Du willst
(Freimachen von Befehlen, Gewohnheiten usw.)
4. Mach dir ein schönes Leben
5. Wach auf, Baby!
6. Die Grille taucht auf
(über das Gewissen)
7. Versetz dich in seine Lage
8. Mit Vergnügen
(über das Genießen)
9. Allgemeine Wahlen
Epilog: Du musst darüber nachdenken
Wenn Du noch mehr lesen willst
(Literaturhinweise)

Und nun die Zitate:

Anti-pädagogischer Hinweis

(S. 11)
Dieses Buch ist kein Handbuch über Ethik für junge Menschen. Es enthält keine Informationen über die wichtigsten Morallehren der Geschichte und ihre führenden Autoren. Ich hatte nicht die Absicht, den Kategorischen Imperativ für die Allgemeinheit erreichbar zu machen.

Es handelt sich hier auch nicht um ein Rezeptbuch mit moralisierenden Antworten auf die Streitfragen, auf die man tagtäglich in den Zeitungen und auf der Straße stoßen kann – von der Abtreibung über das Kondom bis hin zur Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen. Ich glaube nicht, dass die Ethik irgendwelche Streitfragen beantworten kann, sie soll eher mithelfen, eine Diskussion in Gang zu setzen.
Muß man in den höheren Schulklassen über Ethik reden? ....
                                                                   Madrid, den 26. Januar 1991


Prolog

In dem Buch wendet sich Savater an seinen 16jährigen Sohn, spricht ihn immer wieder mit "du" oder Namen - Amador - an. (S. 14)
Andererseits konnte ich diese Väter nie lei
den, die darauf bestehen, »der beste Freund ihrer Kinder zu sein«. Ihr müßt Freunde Eures Alters haben — Freunde und Freundinnen natürlich. Mit Eltern, Lehrern und den übrigen Erwachsenen ist es bestenfalls möglich, sich einigermaßen gut zu verstehen, was schon ziemlich viel ist. Aber sich mit einem Erwachsenen einigermaßen gut zu verstehen bedeutet auch manchmal: Lust haben, ihn zu ertränken. Anders geht es nicht. Wenn ich 15 Jahre alt wäre, was mir wahrscheinlich nicht wieder passieren wird, würde ich allen Erwachsenen mißtrauen, die allzu »sympathisch« sind; allen, die anscheinend jünger sein wollen als ich; und allen, die mir grundsätzlich recht geben. Du weißt schon, die, die immer sagen: »Ihr jungen Leute seid super«, »Ich fühle mich so jung wie ihr« und ähnliches Geschwätz. Achtung vor denen! Bei so viel Schmeichelei wollen die etwas.

Ein richtiger Vater oder Lehrer muß irgendwie lästig sein, oder er taugt zu nichts.

1. Kapitel: Woher die Ethik

(S. 19)
... Und so gelangen wir zu dem zentralen Begriff dieses ganzen Durcheinanders: Freiheit. Die Tiere (ganz zu schweigen von den Mineralen oder Pflanzen) haben keine andere Wahl, als so zu sein, wie sie sind, und das zu tun, wozu sie von Natur aus programmiert sind. Man kann sie nicht dafür tadeln oder ihnen applaudieren, weil sie sich gar nicht anders verhalten können. Eine solche bindende Veranlagung erspart ihnen zweifellos viel Kopfzerbrechen. In gewisser Hinsicht sind wir Menschen natürlich auch von der Natur programmiert. Wir sind dazu geschaffen, Wasser zu trinken und keine Lauge; und trotz aller unserer Vorkehrungen müssen wir früher oder später sterben. Auf weniger gebieterische, aber vergleichbare Weise ist unsere kulturelle Programmierung bestimmend: Unser Denken wird durch die Sprache bestimmt, die ihm Gestalt gibt (eine Sprache, die uns von außen aufgezwungen wird und die wir nicht für unseren persönlichen Gebrauch erfunden haben). Außerdem werden wir in bestimmten Traditionen erzogen, lernen bestimmte Gewohnheiten, Verhaltensweisen, Legenden. Mit einem Wort: Uns wird von der Wiege an eingetrichtert, an bestimmten Dingen festzuhalten. ...  

An einem Beispiel veranschaulicht er (S. 27 - 29):
Erstens: Wir sind nicht frei auszuwählen, was uns passiert an dem Tag, von diesen Eltern und in diesem Land geboren zu werden; an Krebs zu leiden oder von einem Auto überfahren zu werden; schön oder häßlich zu sein; von den Achäern angegriffen zu werden usw.), sondern wir sind frei, auf das, was uns passiert, auf diese oder jene Weise zu reagieren (zu gehorchen oder zu rebellieren, vorsichtig oder waghalsig, rachsüchtig oder ergeben zu sein, uns nach der letzten Mode anzuziehen oder als Höhlenbär zu verkleiden, Troja zu verteidigen oder zu fliehen usw.).
Zweitens: Frei zu sein, etwas zu versuchen, hat nichts damit zu tun, es auch ganz sicher zu erreichen. Freiheit (die darin besteht, aus dem Möglichen auszuwählen) ist nicht das gleiche wie Allmacht (die bedeuten würde, immer das zu erreichen, was man will, auch wenn es unmöglich scheint). Wir können jedoch desto größeren Nutzen aus unserer Freiheit ziehen, je größer unsere Fähigkeit zum Handeln ist.

In der Realität existieren viele Kräfte, die unsere Freiheit einschränken, von Erdbeben oder Krankheiten bis zu Tyrannen. Aber auch unsere Freiheit ist eine Kraft in der Welt, unsere Kraft. Wenn Du mit Leuten redest, wirst Du jedoch feststellen, dass den meisten das, was ihre Freiheit begrenzt, viel bewußter ist als ihre Freiheit selbst. Sie werden Dir sagen:
»Freiheit? Von welcher Freiheit redest du? Wie können wir frei sein, wenn das Fernsehen uns das Gehirn wäscht, wenn die Politiker uns betrügen und manipulieren, wenn die Terroristen uns bedrohen, wenn die Drogen uns versklaven, und wenn mir außerdem das Geld fehlt, mir ein Motorrad zu kaufen — was ich so gerne möchte?« Wenn Du ein bißchen aufpaßt, wirst Du feststellen, dass die, die so reden, sich zu beklagen scheinen, aber in Wirklichkeit sehr zufrieden sind zu wissen, dass sie nicht frei sind. Im Grunde denken sie: »Uff! Uns ist ein Stein vom Herzen gefallen! Da wir nicht frei sind, können wir nicht schuld sein an dem, was uns passiert.« Aber ich bin sicher, dass niemand — niemand — wirklich glaubt, nicht frei zu sein. Niemand akzeptiert ohne weiteres, dass er wie ein unerbittliches Uhrwerk oder wie eine Termite funktioniert. Es mag sein, dass die freie Entscheidung für bestimmte Sachen unter bestimmten Umständen sehr schwer ist (z.B. in ein brennendes Haus zu gehen, um ein Kind zu retten, oder unbeirrt einemTyrannen gegenüberzutreten) und dass man deshalb lieber sagt, es gibt keine Freiheit. Dann muß man nicht anerkennen, dass man als freier Mensch das Leichteste vorzieht — auf die Feuerwehr zu warten oder den Stiefel zu lecken, der einem im Nacken steht.

Aber tief im Innern sagt uns etwas beharrlich: »Wenn du gewollt hättest ...«

2. Kapitel: Befehle, Gewohnheiten und Launen

(S. 33)
... Manchmal zwingen uns die Umstände, zwischen zwei Möglichkeiten zu wählen, die wir uns nicht ausgesucht haben. Und es gibt sogar Gelegenheiten, in denen wir wählen, obwohl wir es vorziehen würden, nicht wählen zu müssen.

Es geht um die Frage nach den Motiven des Handelns:
z. B. dass man etwas tut, weil es einem Spaß macht.


(S. 37 / 38)
Also, eine der Arten der Motivation, die Du erkennst, ist die, dass ich Dir auftrage, dies oder jenes zu tun.
Diese Motive nennen wir Befehle. In anderen Fällen besteht das Motiv darin, dass Du gewöhnlich immer das gleiche tust und es fast ohne nachzudenken wiederholst; oder Du siehst, wie in Deiner Umgebung sich alle üblicherweise so verhalten: Diese Motive nennen wir Gewohnheiten. In anderen Fällen — den Tritten gegen die Dose z.B. — scheint das Motiv das Fehlen eines Motivs zu sein, das, was Dir einfach so gefällt, die reine Lust. Bist Du einverstanden, wenn wir das Warum dieses Verhaltens Launen nennen? Ich lasse die rein praktischen Motive außer acht, die Dich zu den Handlungen verleiten, die Du ganz automatisch tust, um etwas zu erreichen:
die Treppe hinuntergehen, um auf die Straße zu kommen, statt durch das Fenster zu springen, mit dem Bus zur Schule fahren, eine Tasse benutzen, um den Milchkaffee zu trinken ......
Wir beschränken uns darauf, die ersten drei Arten der Motive zu untersuchen: Befehle, Gewohnheiten und Launen.

Die erste Frage, die mir zu den Motiven einfällt, ist: Auf welche Art und mit welcher Stärke zwingt jedes Motiv Dich zu handeln? .....

Unter normalen Umständen kann es ausreichen, das zu tun, was einem befohlen wird, aber manchmal ist es am klügsten, sich zu fragen, bis zu welchem Punkt man gehorchen soll. ....
        

Analog sind Gewohnheiten und Laune auf ihren Sinn zu überprüfen - bis zu welchem Punkt es sinnvoll ist, ihnen zu folgen, wann lieber nicht.

zwei Fremdzitate:
„Also steht die Tugend und ebenso auch das Laster in unserer Gewalt.
Denn wo das Tun in unserer Gewalt ist, da ist es auch das Lassen,
und wo das Nein, auch das Ja.
Wenn also das Tun des Guten in unserer Gewalt steht,
dann auch das Unterlassen des Bösen;
und wenn das Unterlassen des Guten in unserer Gewalt steht,
dann auch das Tun des Bösen.“
Aristoteles, Nikomachische Ethik

und
»Wir haben nunmehr 4 Prinzipien der Moral:
1) ein philosophisches: Tue das Gute um seiner selbst willen, aus Achtung fürs Gesetz;
2) ein religiöses: Tue es darum, weil es Gottes Wille ist, aus Liebe zu Gott;
3) ein menschliches: Tue es, weil es deine Glückseligkeit befördert, aus
Selbstliebe;
4) ein politisches: Tue es, weil es die Wohlfahrt der großen Gesellschaft befördert, von der du ein Teil bist,
aus Liebe zur Gesellschaft, mit Rücksicht auf dich.«  
Georg Christoph Lichtenberg, Aphorismen

3. Kapitel: Tu, was du willst

(S. 45)
Das alles hat mit der Frage der Freiheit zu tun, mit der sich eigentlich die Ethik beschäftigt, wie ich Dir schon gesagt habe. Freiheit besteht darin, ja oder nein sagen zu können, »Ich tue es« oder »Ich tue es nicht«, was auch immer mein Chef oder die anderen sagen, »Das gefällt mir, und ich will es«, »Das paßt mir nicht, und deshalb will ich es nicht«. Freiheit heißt entscheiden, aber auch, vergiß das nicht, Dir darüber Rechenschaft zu geben, wie Du Dich entscheidest. Freiheit steht in krassem Gegensatz zu sich treiben lassen, wie Du inzwischen sicher bemerkt hast. Und um Dich nicht treiben zu lassen, bleibt Dir nichts anderes übrig, als mindestens zweimal darüber nachzudenken, was Du tun willst; .....
»Moral« ist die Gesamtheit der Verhaltensweisen und Normen, die Du, ich und andere in unserer Umgebung als gültig anerkennen; »Ethik« ist die Reflexion darüber, warum wir sie als gültig ansehen, und der Vergleich mit der Moral anderer Personen. Aber hier benutze ich das eine oder andere Wort unterschiedslos weiter, immer im Sinne der Kunst des Lebens.....
Die Philosophen mögen mir verzeihen.
.... Weißt Du, warum es nicht so einfach ist zu bestimmen, wann ein Mensch »gut« ist und wann nicht? Weil wir nicht wissen, zu welchem Zweck die Menschen da sind. ....

ein Fremdzitat
»Ihre Lebensführung richtete sich nicht nach Satzungen, Regeln und Paragraphen, sondern einzig nach ihrem freien Willen und Gutdünken.
Sie standen auf, wenn sie ausgeschlafen hatten, aßen, tranken, arbeiteten und ruhten, wie sie die Lust dazu ankam.
Keiner weckte sie, noch zwang sie jemand zur Mahlzeit oder irgend etwas anderem.
So hatte Gargantua es bestimmt.
In ihrer Regel war nur die eine Verfügung: »Tu, was Du willst.«
Denn wackere, gut erzogene, gesunde und umgängliche Menschen
haben von Natur aus einen Hang zum Guten und eine Abneigung gegen das Schlechte: ihr eingeborenes Ehrgefühl.
Knechtschaft und Zwang aber stachelt zu Widerspruch und Auflehnung
an und ist die Mutter alles Übels.

Am heftigsten begehren wir nach verbotenen Früchten.«  
Francois Rabelais, Gargantua und Pantagruel

4. Kapitel: Mach Dir ein schönes Leben

Es gibt in diesem Kapitel ein hübsches Spielchen mit dem "Befehl": "Tu, was du willst!" Savater schreibt dazu (S. 57):
"Wenn Du ihn ausführst, gehorchst Du ihm nicht (weil Du nicht das tust, was Du willst, sondern was ich will); wenn Du dem Befehl nicht gehorchst, führst Du ihn aus."
Der Befehl "Tu, was du willst." ist ein klassisches Beispiel eines "Paradoxon", eines "Widerspruchs in sich".

Was will ich Dir sagen mit dem »Tu, was Du willst« als grundlegendem Motto dieser Ethik, an die wir uns herantasten wollen? Ganz einfach — auch wenn es Dir schwerfallen wird: Du mußt Dich befreien von Befehlen und Gebräuchen, von Belohnung und Strafe, kurz von allem, was Dich von außen lenken will, und Du mußt diese ganze Angelegenheit aus Dir selbst heraus, aus Deinem Gewissen und freien Willen entwickeln. Frage niemanden, was Du mit Deinem Leben anfangen sollst: Frage Dich selbst. Wenn Du wissen willst, wozu Du Deine Freiheit am besten einsetzen kannst, dann verliere sie nicht, indem Du Dich von Anfang an anderen unterwirfst, mögen sie auch noch so gut, weise und angesehen sein: Befrage über den Gebrauch der Freiheit — die Freiheit selbst. .,...
Und wenn Du Dich entscheidest, Dich dem Meistbietenden als Sklave anzubieten, oder zu schwören, dass Du in allem und für immer diesem oder jenem Tyrannen gehorchen willst? Dann tust Du das, weil Du es so willst, also freiwillig; und auch wenn Du einem anderen gehorchst oder mit dem Strom schwimmst, handelst Du weiter so, wie es Dir lieber ist: Du verzichtest dann nicht darauf zu wählen, sondern Du wählst, nicht selbst zu wählen. Daher sagte der französische Philosoph Jean-Paul Sartre:
»Wir sind zur Freiheit verdammt.«
.... Aber verwechseln wir dieses »Tu, was Du willst« nicht mit den Launen, über die wir gesprochen haben. Es ist eine Sache, dass Du tust, »was Du willst«, und eine andere, völlig verschiedene, dass Du tust, »wozu Du zuerst Lust hast«. ...
..Manchmal wollen wir Menschen einander widersprechende Sachen, die miteinander in Konflikt geraten. ...

5. Kapitel: Wach auf, Baby

Das Thema in diesem Kapitel ist sehr komplex, es geht u. a. um die Frage nach dem Sinn des Besitzes für die Freiheit eines Menschen. Es läßt sich nicht in wenigen Sätzen zusammenfassen. Savater stellt am Beispiel der Geschichte aus der Bibel von Esau, der für ein Linsengericht (einen Augenblicksvorteil) sein Erstgeburtsrecht (den längerfristigen Vorteil) verkauft, die Frage, was uns wichtig ist in unserem Leben und stellt zum Schlußzwei Fragen.
Die erste lautet (S. 69) :

Warum ist das Schlechte schlecht?
Die zweite ist noch besser, sie lautet:
Was bedeutet es, »Menschen wie Menschen zu behandeln«?  

6. Kapitel: Die Grille taucht auf

In diesem Kapitel geht es um unser  Gewissen und um das Gegenteil davon (S. 81):

Worin besteht dieses Gewissen ...? Seine Merkmale sind grundsätzlich folgende:
a) Wissen, dass nicht alles egal ist, weil wir wirklich leben wollen und außerdem gut leben, menschlich gut leben wollen.
b) Aufpassen, ob das, was wir tun, mit dem übereinstimmt, was wir wirklich wollen — oder nicht.
c) Einen guten moralischen Geschmack entwickeln, lernen, dass es bestimmte Dinge gibt, die wir spontan ablehnen (z.B., dass es einen ekelt zu lügen, wie es einen normalerweise ekelt, in die Suppenschüssel zu pinkeln, aus der wir uns im nächsten Moment bedienen wollen).
d) Keine Ausreden suchen, die verbergen, dass wir frei und daher vernünftigerweise für die Folgen unserer Handlungen verantwortlich sind.
...
Also ist das, was wir »Reue« nennen, nicht mehr als die Unzufriedenheit mit uns selbst, wenn wir die Freiheit schlecht genutzt haben, ....

Im Unterschied zu dem schlecht erzogenen und feigen Kind ist der Verantwortliche immer bereit, für seine Handlungen einzustehen: »Ja, ich bin es gewesen!«....

wieder ein Fremdzitat:
»Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu,
lautet eines der grundlegenden Prinzipien der Ethik. Aber mit gleicher Berechtigung kann man sagen:
Was du andern antust, das tust du auch dir selber an.«
Erich Fromm, Psychoanalyse und Ethik

7. Kapitel: Versetz Dich in seine Lage

(S. 97 - noch einmal der Text  aus der Einleitung oben, etwas erweitert )
Ich kenne niemanden, der vor lauter Glück böse ist oder der aus Freude seinen Nächsten quält. Bestenfalls gibt es ziemlich viele Leute, die, um zufrieden zu sein, nichts von dem Leiden erfahren wollen, das es in ihrer Umgebung in Hülle und Fülle gibt und an dem sie zum Teil mitschuldig sind. Aber auch die Ignoranz, auch wenn sie mit sich selbst zufrieden ist, ist eine Form des Unglücks.
Man kann also sagen: Je glücklicher und fröhlicher sich jemand fühlt, um so weniger Lust hat er, böse zu sein. ....

Die Welt ist voller linker oder dreister Typen, die sich für äußerst schlau halten, wenn sie aus der guten Absicht der anderen und sogar aus deren Unglück Vorteile erlangen. Mir erscheinen sie allerdings nicht so klug, wie sie glauben. Der größte Nutzen, den wir von unseren Mitmenschen erhalten können, ist nicht der Besitz von noch mehr Sachen (oder die Herrschaft über noch mehr Personen, die wie Sachen, wie Instrumente behandelt werden), sondern die Anteilnahme und Zuneigung von mehr freien Wesen. Das heißt, die Erweiterung und Stärkung meines Menschseins. »Na und, wozu soll das dienen?« wird der Gauner fragen, im Glauben, den Gipfel der Schlauheit zu erreichen. Darauf kannst Du ihm erwidern: »Es dient nicht dazu, woran du denkst. Nur Sklaven dienen, und ich habe dir bereits gesagt, dass wir von freien Wesen reden.« Das Problem des Schurken ist, dass er nicht weiß, dass die Freiheit nicht dient und sie auch nicht bedient werden will, dass sie vielmehr ansteckend sein will. Er hat die Mentalität eines Sklaven, der Ärmste, auch wenn er sich für so »reich« an Sachen hält!

Nun mögen Vergleiche hinken, trotzdem finde ich das folgende sehr anschaulich gesagt (S. 106 / 107):
Die Maus fragt: »Was wird mir passieren?«, und der Löwe fragt: »Was werde ich tun?« Unterschied Nummer zwei: Die Maus will die anderen verpflichten, sie zu lieben, damit sie dann sich selbst lieben kann, und Löwe liebt sich selbst, wodurch er fähig wird, die anderen zu lieben.

Wir sind endlich bei dem Augenblick angelangt, wo wir eine Frage beantworten können, deren direkte Beantwortung wir schon ziemlich lange vertagt haben (indirekt und auf Umwegen reden wir schon seit vielen Seiten von nichts anderem): Worin besteht dieses, die Personen wie Personen, d.h. menschlich, zu behandeln? Antwort: Es besteht darin, sich in ihre Lage zu versetzen.

Jemanden als Mitmenschen anzuerkennen, schließt vor allem die Möglichkeit ein, ihn von innen zu verstehen, für einen Augenblick seinen Standpunkt zu übernehmen.


8. Kapitel: Mit Vergnügen

(S. 115:)
Der ist wirklich »schlecht«, der glaubt, im Genießen gäbe es etwas Schlechtes. Wir »haben« nicht nur einen Körper, wie man so sagt (fast resignierend), sondern wir sind ein Körper, ohne dessen Befriedigung und Wohlbefinden es kein schönes Leben gibt, das sich lohnt. Wer sich der Fähigkeit seines Körpers, Vergnügen zu empfinden, schämt, ist so dumm wie der, der sich schämt, das Einmaleins gelernt zu haben.

Je mehr man den Sex von der einfachen Fortpflanzung trennt, um so weniger tierisch und um so menschlicher wird er. Natürlich ergeben sich daraus gute und schlechte Konsesequenzen, wie immer, wenn die Freiheit im Spiel ist.

Was sich hinter dieser ganzen Entrüstung über die sexuelle »Unmoral« versteckt, ist nicht mehr und nicht weniger als eine der ältesten sozialen Ängste des Menschen: die Angst vor dem Vergnügen. Und weil das sexuelle Vergnügen zu den intensivsten und lebendigsten gehört, die man empfinden kann, sieht es sich daher von so großem Mißtrauen und so starken Vorbehalten umgeben. Warum macht das Vergnügen Angst? Ich vermute, weil es uns zu sehr gefällt.

Deshalb - so Savater - ist die Frage nach dem rechten Maß zu stellen:

Die Kunst, das Vergnügen in den Dienst der Freude zu stellen, also die Tugend, nicht vom Genuß in den Verdruß zu fallen, pflegt man seit alters her Mäßigung zu nennen.

ein weiteres Fremdzitat:
» Mäßigkeit setzt Genuß voraus, Enthaltsamkeit nicht.
Es gibt daher mehr enthaltsame Menschen als solche, die mäßig sind.«
Georg Christoph Lichtenherg,
Aphorismen

9. Kapitel: Allgemeine Wahlen

(S. 129:)
Die egalitären und auch die Ellenbogengesellschaften gehen ziemlich unbarmherzig mit denen um, die dem Mittelmaß nach oben oder unten entkommen: Wer besser als der Durchschnitt ist, wird gesteinigt; wer nach unten sinkt, wird ohne Gewissensbisse getreten.

Für Dich und mich ist jetzt die Frage wichtig, ob Ethik und Politik viel miteinander zu tun haben und in welcher Beziehung sie zueinander stehen. Hinsichtlich ihrer Zielsetzung scheinen beide grundsätzlich verwandt zu sein: Geht es beiden nicht um das Gut-Leben? Die Ethik ist die Kunst auszuwählen, was uns am meisten zusagt, und auf die bestmögliche Art zu leben; die Politik hat zum Ziel, das soziale Zusammenleben bestmöglich zu organisieren, so dass jeder das wählen kann, was ihm zusagt. Weil niemand isoliert lebt (ich habe bereits davon gesprochen, dass die menschliche Behandlung unserer Mitmenschen die Grundlage des guten Lebens ist), kann sich niemand, der die ethische Sorge hat, gut zu leben, völlig aus der Politik heraushalten.

noch ein Fremdzitat:
»Wenn mir etwas bekannt wäre, das mir nützen, meiner Familie aber schaden würde, so verbannte ich es aus meinen Gedanken.Wenn mir etwas bekannt wäre, das meiner Familie, aber nicht meinem Vaterlande nützen würde, so würde ich es vergessen wollen. Wenn mir etwas bekannt wäre, das meinem Vaterland nützen, Europa aber schaden würde, so sähe ich das Betreffende wie ein Verbrechen an, weil ich notwendig Mensch bin und Franzose nur durch Zufall.«             
Montesquieu, Vom glücklichen und weisen Leben


Epilog: Du musst darüber nachdenken

(S. 143:)
Also, Du solltest dieses Buch nicht allzu ernst nehmen. Unter anderem weil die »Ernsthaftigkeit« kein untrügliches Zeichen der Weisheit ist, wie die Dummköpfe glauben: Die Intelligenz muß lachen können.

Soll ich jetzt doch mit einem letzten Rat schließen? Da es ja ums Wählen geht, versuche immer jene Optionen zu wählen, die Dir später eine größere Anzahl weiterer Optionen offenhalten, nicht die, die Dich mit dem Gesicht zur Wand stellen. Wähle das, was Dich öffnet: den anderen, neuen Erfahrungen, verschiedenen Freuden.
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  Anmerkung A1
Im Thema HEITERE ZUKUNFT steht als das Motto des Handelns der Menschen in einer zukünftigen "heiteren Gesellschaft":
"Jeder kann machen, was er will - oder es versuchen."
Daher hatte ich mich sehr gefreut, auf dieses Buch gestoßen zu sein. Die Übereinstimmung vieler meiner Gedanken mit denen von Prof. F. Savater hat mich sehr glücklich gemacht.

  Anmerkung A2
Beim Campus-Verlag hatte ich mit Mail vom 27. 08. 2006 angefragt und um Erlaubnis gebeten, die folgenden Texte veröffentlichen zu dürfen. Bisher gab es keine Reaktion auf meine Mail und auf diese Veröffentlichung. Ich nehme das als schweigende Zustimmung.

  Quellenangabe Q1
Das Buch hatte ich bei seiner Ankündigung im Merkheft von "Zweitausendeins" im Jahr 1999 gekauft und nach dem Lesen meinem Neffen geschenkt. Damals hatte ich dieses Titelfoto gespeichert - nun kann ich mich nicht mehr erinnern, ob ich es selbst eingescannt hatte oder aus den Weiten des Internets heruntergeladen habe. Mea culpa. Ich bitte um Nachsicht.